In El Salvador greifen tausende Menschen im Monat auf die Dienste professioneller Menschenschmuggler zurück. Ihr Ziel: die Vereinigten Staaten, der amerikanische Traum.

Die Fakten:

Mehr als zwei Millionen Salvadorenos leben bereits außerhalb der Landesgrenzen – die meisten mit Unterstützung der Coyoten, der Menschenschmuggler. Coyoten, das sind die ungeliebten Heiligen der Gesellschaft. Einerseits profitieren sie von der Not der Menschen, die in ihrem Land keine Chance auf einen Job bekommen oder schlicht vor der zweithöchsten Mordrate der Welt fliehen wollen. Andererseits ermöglichen Sie den Familien eben jene Chance, Geld zu verdienen, und auch Geld zurück zu den Familien zu schicken. Die Exilanten schicken jeden Monat schlanke 330 Millionen Dollar ins Land –  ohne die viele Familien und vermutlich auch ganze Industriezweige nicht überleben könnten.

Dafür nehmen die Kunden der Coyoten viele Risiken auf sich – nicht wenige sterben auf der Fahrt, noch mehr werden von der amerikanischen Grenzpolizei gefasst und kostenpflichtig deportiert. Es gibt also viele Gründe, diese Reise über Guatemala und Mexiko nicht anzutreten. Aber wie so oft: einer muss den Job machen.

Die Geschichte:

Wir treffen Marlon im Januar in San Salvador. Nach unzähligen Kontaktaufnahmen via Facebook-Fakeprofilen steige ich an einem Dienstag nachmittag in ein weißes Auto, welches an einer Kreuzung im Stadtzentrum auf mich wartet. Ich darf mir einen Sack über den Kopf ziehen und stehe nach 30minütiger Fahrt in irgendeiner Garage. Vor der Tür ballern gerade Polizei und Jugendgangs aus, wer den Wasserlaster nun endgültig mitnehmen darf und wer nicht. Nach 15 Minuten Schießerei sitzen Marlon, 37, und ich im Wohnzimmer. Er isst Tortillas und Bohnen. Seine Waffe liegt auf dem Couchtisch, im Fernsehen predigt irgendein evangelikaler Triplezentner etwas von der Erlösung. Kann losgehen.

Berufsbild Coyote, ne? In der Schule lernt man so was nicht.

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Weißt du, jeder von uns hat seine eigene Geschichte. Ich für meinen Teil habe im Bürgerkrieg für die Rebellen gekämpft. Jahrelang. Ich war zehn Jahre alt, als der Krieg los ging. Ich habe nichts anderes gelernt. Als der Krieg vorbei war, gab es keinen Job für mich. Also beschloss ich alleine in die USA auszuwandern. Unterwegs, genauer in Mexiko, habe ich Coyoten kennengelernt. Sie haben mir zwei Jahre lang alles beigebracht. Und dann habe ich beschlossen: das mache ich jetzt auch.

An welche Erfahrungen deiner Anfangszeit erinnerst du dich besonders gut?

Oh, zum Beispiel wie es ist 32 Stunden lang in einem Lastwagen zu sitzen, und nicht aussteigen zu können. Du kannst nicht auf’s Klo gehen, nichts essen, siehst kein Sonnenlicht. Gar nichts. In so einem Lastwagen sitzen bis zu 250 Menschen – stell dir mal vor wie heiß das da drin ist! Du kippst fast um. Und dann musst du dich immer verstecken, verbringst Nächte in den Bergen und die Kinder schreien und weinen. Das vergisst du nicht mehr.

Und manchmal sterben auch Menschen auf diesem Weg. Wie war das für dich, als du den ersten Toten in deiner Gruppe hattest?

Ja, das passiert meistens in der mexikanischen Wüste. Die Leute müssen ja drei Nächte lang laufen, um in die USA zu kommen. Ohne Essen, ohne was zu trinken. Die meisten sterben an Herzversagen. Das tut weh, weil ich eigentlich verantwortlich dafür bin, dass sie, dass meine Brüder und Schwestern, die USA erreichen. Ich habe es ihnen versprochen.  Und trotzdem muss ich sie zurücklassen. Die Karawane muss weiterziehen.

Wie viele Menschen sind pro Monat denn überhaupt unterwegs in Richtung USA.

In einem Monat? Das dürften so 4.000 Leute sein. Und damit meine ich nur El Salvador. Von Honduras, Guatemala und Nicaragua rede ich noch gar nicht. Und ich rede auch nicht von den Menschen, die es mit den Güterzügen auf eigene Faust versuchen, weil sie kein Geld für einen Coyoten haben.

Ist es richtig zu sagen, dass Mexiko der schwierigste Teil der Reise ist?

Ja, und das liegt an der dortigen Mafia, an den Kartellen. Denen gehört die Grenze! Damit die Kartelle uns die Erlaubnis geben, den Rio Bravo zu überqueren, müssen wir sie bezahlen. Wenn du das nicht tust, läufst du Gefahr, dass sie alle töten. Und die nehmen das alles sehr genau, die zählen nach. Wenn da auch nur ein Mensch mehr oder einer weniger auftaucht, als auf der Liste steht die ich ihnen geschickt habe, dann gibt es ein Problem. Alles muss nach Protokoll laufen.

So, und nach all diesen Hürden – wie viel Prozent der Flüchtlinge schaffen es denn nun wirklich in die USA?

Hm. Also ich sag mal: von 20 schaffen es vielleicht zehn. Viele werden von der Grenzpolizei der USA gefunden, gefasst, und sofort wieder deportiert.

Ist dein Beruf illegal?

Ja, das ist er. Es ist auch kein Beruf den du bis zu deiner Rente machst. Ich sehe das so: meine Arbeit hilft sehr vielen Menschen, ein besseres Leben zu führen, die Armut zu verlassen. Ja, irgendwie ist das schon illegal was ich mache, aber Menschen wie wir helfen dem Volk mehr als es ein Regierungsmitglied dieses Landes tut. Aber Regierungsmitglied sein – das ist legal.

In der Regel ist es ja so, dass illegale Berufe immer Probleme mit sich bringen. Was für Konsequenzen erwarten dich denn, wenn sie dich kriegen?

Weißt du: ich bin mir bewusst, dass es illegal ist. Aber es gibt relativ wenig Probleme mit dem Gesetz. So lange du deine Kunden gut behandelst, gibt es kein Problem. Schwierig wird es nur dann, wenn du Scheiße baust, oder irgendetwas nicht klappt. Dann zeigen dich deine Kunden an, und dann hast du die Polizei am Hals. Und dann wird’s heikel. So lange du aber gut arbeitest, und du deinen Job machst, verpfeift dich auch niemand.

Sag mal, zahlst du eigentlich Steuern?

Ja, klar zahle ich Steuern. Jeder muss Steuern zahlen.

Okay, Folgefrage: wie legalisierst du dein Geld?

Hm, wie sage ich das jetzt?! Ich geb dir ein Beispiel: du kaufst ein Auto. Ein schönes, großes Auto. Das bezahlst du in bar. Und nach einer gewissen Zeit verkaufst du es einfach wieder. Und schon ist das Geld wieder legal.

Coyote in El Salvador

Stell dir vor du bist auf irgendeiner Party, und irgendjemand kommt rum und fragt: Ey, Marlon: was machst du eigentlich beruflich? Was antwortest du dann?

Ich sage dann, dass ich Geschäftsmann bin, im Mittelstand und im Fischhandel tätig bin. Ich züchte Tilapia und andere Speisefische. Und dann kommt immer: “Ach, wirklich? Das ist ja interessant.” Und genau so mache ich es.

Machen wir mal die Bilanz auf: welche Kostenpunkten sind denn die größten, wenn du so eine Reise planst? Benzin? Unterbringung? Schmiergeld?

Am meisten Geld geht dafür drauf, das Gesetz zu kaufen, wenn du verstehst was ich meine. Und jedes Gesetz hat einen unterschiedlichen Preis.

So nennt man das? Das Gesetz kaufen?

Ja, so nennt man das. Das Gesetz kaufen! Und dann kommen die Transportkosten – aber das ist nicht so viel.

Wie viele Menschen sind denn organisatorisch an so einer Reise beteiligt?

Fünfzehn bis zwanzig würde ich sagen.

Und wie kommunizierst du mit denen? Ich meine, du hast ja auch nur Telefon oder E-Mail zur Verfügung. Wieso fliegt das nicht auf?

Du musst deine Botschaften verschlüsseln. Ein Beispiel: wenn es um Menschen geht, dann rufe ich meinen Kontakt an, und sage: Morgen kommen übrigens acht oder neun Kisten Tomaten bei dir vorbei. Eine Kiste Tomaten steht für einen Menschen. Dann weiß der schon mal Bescheid. Aber man muss verschlüsselt sprechen. Immer.

Wie weißt du eigentlich, wem du vertrauen kannst – und wem nicht?

Du kannst niemandem vertrauen. Zumindest nicht zu 100 Prozent. Ich habe immer einen Plan B zur Verfügung. Aber das ist eigentlich kein großes Problem. Denn wenn einer versucht, mich zu bescheißen, dann weiß er, dass er danach nie wieder mit mir arbeiten, und ein großes Problem haben wird. Und das will keiner, glaub mir. Also geben die sich in der Regel durchaus Mühe…

Wo wir schon beim Vertrauen und bei Problemen sind. Ich hab vorhin gesehen, dass da eine Waffe in deiner Hose steckt. Ein Revolver. Warum?

Ach so, die. Die ist legal. Ich bin immer bewaffnet, zur Selbstverteidigung. Mach dir keine Sorgen, niemand sucht oder jagt mich. Ich muss nur immer in der Lage sein, mich verteidigen zu können – vor wem auch immer.

Wer sich keinen Coyoten leisten kann, der nimmt halt den Zug. Zwei Namen davon sind besonders schön: “La Bestia” oder “Der Zug des Todes”. Wie kommt es zu diesen Namen?

Pass auf: “Der Zug des Todes” und “La Bestia” sind ein und derselbe Zug. Ein Güterzug, der durch mehrere Länder bis an die Grenze fährt. Du versuchst es mit dem Zug, wenn du zum Beispiel nur einhundert oder zweihundert Dollar übrig hast, und es einfach mal versuchen willst. Und dann bist du eben tagelang in diesem Zug unterwegs, und versteckst dich zwischen Kisten. Viele überleben das nicht. Deshalb heißt er auch “La Bestia”. Und weil er eben auch unfassbar viele Leute transportiert.

Ich hab mit nem Typen gesprochen, der hat das einfach mal probiert, wollte die Bestia nehmen, aber: beim Versuch in den Zug zu springen, hat er einen Arm verloren. Lass mich raten: der Zug hält nirgendwo für die Leute an.

Ja, der Zug hält nie an. Die Fahrer sind nicht bezahlt, sie dürfen davon nichts mitbekommen. Und nicht jeder kann schnell rennen, verstehst du. Viele fallen hin, und werden dann von dem Zug überrollt. Das ist das Problem.

Liegst du manchmal im Bett und denkst dir: “Warum mache ich diese Scheiße eigentlich?” 

Ja. Ob du es glaubst oder nicht: Ja. Ich kann oft nachts nicht schlafen, weil ich mir Sorgen um meine Leute mache. Du fragst dich wo sie wohl gerade sind und wie’s ihnen geht. Dann kommen schon Gedanken, wie: “Scheiß drauf, ich geh in Rente. Ich kann das nicht mehr.” Weil das hier kann dich krank machen. Ich habe hohen Blutdruck und Zucker von dem ganzen Stress, verstehst du das? Ich habe keine Krankenversicherung, und der Staat ist auch gegen mich. Das hier ist keine einfache Sache.

Wie sehen denn deine beruflichen Perspektiven aus? Musst du dir Gedanken machen, oder wird es immer mehr an Arbeit? Wie schaut’s aus?

Ach, in meinem Fall, und mit dem Kapital das ich habe, kann ich langsam an meinen Ausstieg denken. Ich möchte hier eine Firma aufmachen, und den Leuten eine Arbeitsstelle geben, die sonst keine kriegen würden. Es wird eine kleine Firma, versteh mich nicht falsch. Aber das ist mein Ziel, ich möchte es Familien ermöglichen in El Salvador ihr Leben zu finanzieren.

Und in wie vielen Jahren steht die Firma?

In fünf Jahren.

Bist du reich?

Nein. Aber ich muss die Studiengebühren für meine Kinder in den USA bezahlen.


Wer Marlon nicht nur lesen, sondern auch hören möchte: Der Zoo vom Bayerischen Rundfunk hat das Interview mit dem Coyoten ausgestrahlt.

2 Kommentare

  1. […] MENSCHENHANDEL Blogrebellen: “Eine Kiste Tomaten steht für einen Menschen”: Daniel Köhler war in San Salvador und hat einen sogenannten Coyoten interviewt, einen professionellen Menschenschmuggler, der andere Menschen in die USA schmuggelt. Sehr persönlich und detailliert gibt der Coyote Marlon im Interview bei den Blogrebellen Auskunft über das Geschäft, die Probleme und seine Motivation. […]

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