Kürzlich war ich mal wieder im Forum auf dancehallmusic.de und las „Soundquake.com down?!“ Der bekannteste deutsche Reggae Onlineshop ist nicht mehr erreichbar. Einfach weg. Leider ist das kein technischer Fehler. Seit dem 31. Juli 2014 ist Sound Quake raus und vertreibt nach 20 Jahren kein Reggae Vinyl mehr.
„Die Bestellungen der letzten Monate und Jahre haben ein Weiterführen leider unmöglich gemacht.“ (Knut Winter, Sound Quake)
Das schrieb mir Mitbetreiber Knut Winter auf Anfrage. Mich hätte da schon noch ein bisschen mehr interessiert, aber aus Gründen konnte ich Knut nicht interviewen (hat nichts mit Knut zu tun).
Stell dir vor: Sound Quake macht dicht und keiner reagiert
Sehr aufschlussreich finde ich, wie die Reggae Gemeinde öffentlich reagiert. Ich erinnere noch einmal: Deutschlands bekanntester Reggae Vinyl Vertrieb macht nach 20 Jahren dicht. Seit nunmehr einem Monat ist er online nicht mehr erreichbar. Und was ist passiert? Fast nichts.
Auf den oben genannten DHM Foreneintrag wurde aktuell 30 Mal geantwortet. Das ist im größten deutschen Reggae / Dancehall Forum vergleichsweise viel, aber in Anbetracht der Situation viel zu wenig. Auf der Sound Quake Facebook-Seite sind Kommentare nicht zugelassen, aber auch unter den eigenen Posts fragt niemand, was los ist. Selbst Google spuckt keine Ergebnisse zu diesem Thema aus.
Wenn die Jungs aus Detmold ihren Onlineshop einfach unangekündigt abstellen und kaum einer reagiert darauf, können die Besucherzahlen wirklich nicht mehr sehr üppig gewesen sein und die Bestellungen erst recht nicht. Daraus könnte ich ableiten, dass Reggae Vinyl demnächst auch weg vom Fenster ist – oder Sound Quake ein schlechtes Angebot hatte, was ich ausschließen würde.
Reggae Vinyl ist nicht tot, es ist nur Luxus
Ich glaube nicht, dass Reggae Vinyl mittelfristig stirbt. Es wird mehr und mehr Luxus werden und zwar für alle Beteiligten: Produzenten, Künstler, Käufer. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der durchschnittliche Verkaufspreis für eine 7inch Single fast verdoppelt.
Für Cornell Campbells Hypocrites habe ich neulich acht Euro hingelegt, für Jah 9s Steamers A Bubble waren es fast zwölf Euro und für Micah Shemaias Dread At The Control sogar 15 Euro. Wahnsinn eigentlich, denn das sind keine raren Stücke aus den 1970ern, sondern aktuelle Pressungen.
Vor rund einem Jahr fragte ich Martin von Presswerk ameise vinyl, warum 7inches teurer geworden sind. Er erklärte das damit, dass die Schallplatte ein „Lifestyle Produkt“ geworden sei und die Leute bereit seien, mehr dafür zu bezahlen.
Da ich Sound Quake dazu nicht befragen konnte, habe ich bei zwei duften Bekannten nachgehakt: Aldubb (Produzent und Betreiber des Labels One-Drop Music) und Karsten Frehe (Betreiber des Labels Irie Ites Music).
„Die Produktionskosten sind eigentlich bei 500er Auflagen gleich geblieben in den letzten Jahren. Man verkauft aber keine 500 Stück mehr. 200 liegen im Lager, daher müssen die restlichen teurer sein. Die Großhändler kaufen nur noch kleine Mengen auf Kommission.“ (Aldubb, One-Drop Music)
Karsten hat ähnliche Erfahrungen gemacht:
„Die Händler nehmen weniger ab. Da gehen dann mal 5-10 Stück per Post auf den Weg, selten größere Mengen. Das erhöht Aufwand und Kosten. Vinyl ist teuer in der Herstellung. Wenn man Glück hat, kommt man am Ende auf Null, sprich fährt keinen Verlust ein. Auch wenn die komplette Auflage weg ist, bleibt nicht viel übrig, um etwa alle Beteiligten verdient beteiligen zu können. Vinyl ist Liebhaberei.“ (Karsten Frehe, Irie Ites Music)
Rattenrennen: Reggae Vinyl wird teurer, weil es kaum jemand kauft
Entgegen schöner Statistiken, die Schallplatten vormarschieren sehen, läuft das Reggae Vinyl leider zurück und wird meiner Meinung nach nicht wieder nach vorn gehen. Es ist ein Rattenrennen:
Weniger Verkäufe. Die Leute kaufen heute lieber MP3 als Schallplatte, weil sie ihre Musik auch unterwegs hören möchten, immer und überall. Außerdem kosten digitale Lieder deutlich weniger. Alles verständlich.
Gleichbleibende Produktionskosten. Die Produktionskosten für Vinyl sind laut Aldubb in den letzten Jahren stabil, 500 Singles kosten grob 1.000 Euro. Darunter lohnt sich die Pressung gar nicht. Das heißt, eine 7inch wird für zwei Euro hergestellt.
Höhere Preise. Wenn Großhändler die Scheiben für zwei Euro abnehmen würden, sind die Produktionskosten gedeckt. Nicht gedeckt sind damit Studiozeit, Promo, Künstlergage etc. Also sollte der Großhändler schon ein bisschen mehr als 2 Euro bezahlen, vor allem wenn von den 500 Singles nur 200 bis 300 rausgehen.
Weniger Verkäufe. Der Großhändler möchte auch leben und packt nochmal was für seine Kunden drauf. Dann kommt eventuell noch der Shop-Betreiber dazwischen, fertig ist der höhere Endpreis. Am Ende führt das dazu, dass nur noch wenige Leute Platten kaufen, die ein bisschen mehr Geld und ein Herz für Vinyl haben. Fragt sich nur, wann die Schmerzgrenze erreicht sein wird?
Wie geht es weiter mit den Reggae Shops?
Ich gehe davon aus, dass Onlineshops wie Africanbeat und Sound Quake auf Masse kalkuliert haben. Die wenigen Leute, die jetzt mehr Geld bezahlen, sind dann offensichtlich zu wenig, um so einen Laden erfolgreich zu betreiben.
Wie lange Music Rebel, Irie Records und Buyreggae wohl noch durchhalten werden? Das hängt sicher auch davon ab, inwiefern sich das Angebot der Shops voneinander unterscheidet. Und da geht es nicht nur um Musik, sondern auch Lieferzeiten, Service etc.
Sound Quake Update vom 1. September
Ich weiß nicht, ob es an meinem Artikel liegt, aber Sound Quake haben nun doch auf Facebook verkündet, dass Schluss mit Vinyl ist.
Ich bin sehr gespannt, was ihr über das Thema denkt. Wie lange wird Reggae Vinyl noch leben? Wo liegt eure Schmerzgrenze bei 7inch Preisen? Schreibt mir eure Meinungen in die Kommentare.
(Dieser Gastartikel erschien zuerst auf houseofreggae)
Vinyl wird genauso wenig sterben wie Oldtimer. 😉
Aber E-Commerce Unternehmungen, die meinen 2014 noch wie 1996 aussehen zu können, oder aus sich unerklärlichen Gründen den Digitalen Formaten und deren ungleich höhere Margen verweigern ist einfach nicht zu helfen. Warum alle diese Reggae spezifischen Shops derart unbeholfen im Web agieren soll mal einer erklären, es ist peinlich. Jeder Socken- und Teppichhändler macht das um Längen besser!
Unabhängig davon gibt es schlicht keine relevante Nachfrage mehr nach Vinyl. Wenigsten keine, welche die enormen finanziellen Kosten und Risiken, die unglaublich schlechte Öko-Bilanz, oder auch nur den Transport-Stress oder die erheblichen Produktionsverzögerungen abdecken. Mir ist es ein Rätsel warum ausgerechnet der sogenannte „urban underground“ sich derart auf so ein durchindustrialisiertes, materialistisches, bank-, promo- und lagerintensives Produkt beziehen kann.
In diesem Sinne ist es positiv zu sehen, dass immer mehr Menschen (Kunden!) den irrationalem, über Jahre beworbenen Produkt-Kult dem Rücken Kehren und die Sache sehen können als das was sie schon immer war: Ein völlig überbewertetes, per Massenproduktionstechnik erstelltes und Massenmedien beworbenes Plastikprodukt.
Hallo Fabien,
stimmt schon, die Reggae Shops sind alle nicht zeitgemäß und weit weg von hhv.de, die ich gern als Referenz im Onlineplattenhandel sehe. Warum sie digitale Formate nicht anbieten, ist das mit eigentlich fast erklärt. Zudem gibt es die Musik inzwischen auch weitreichend bei iTunes, Amazon etc. Soundquake hatten sogar mal mit einer digitalen Plattform experimentiert.
Von Massenproduktion kann im Reggae übrigens keine Rede sein. Bei Singles sind zum Beispiel 500 Stück schon eine hohe Auflage und Werbung in Massenmedien … nun ja, vielleicht bei Seeed, Gentleman und die Marley Brüdern.
[…] Jahr habe ich zum ersten Mal bei den geschätzten Blogrebellen veröffentlicht, hier und hier. Die Chemie stimmt und sie haben teilweise einen ähnliche Musikgeschmack. Da wird sicher noch […]
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