Dynamik ist eigentlich ganz simpel mit einem Satz zu erklären:
Die Dynamik eines Musikstücks ist definiert als der Unterschied zwischen dem lautesten und dem leisesten Ton.
Bei der Beurteilung von Audioformaten oder Audio-Equipment spricht man vom Dynamikbereich. Er entspricht dem maximal darstellbaren Lautstärkeunterschied, könnte also quasi auch als „potentielle Dynamik“ bezeichnet werden.
Ja und eigentlich war es das auch schon. Mehr steckt nicht dahinter. Warum wird also mit diesem simplen Begriff so viel Schindluder betrieben?
Das liegt daran, dass die Dynamik einerseits verdammt wichtig dafür ist, wie Musik empfunden wird und anderseits fast niemand die ausgelösten Empfindungen mit den Zahlen und Werten, die zum Thema kursieren, in Bezug setzen kann.
Erschwerend hinzu kommt, dass -unter anderem wegen des seit vielen Jahren tobenden „Loudness-Wars“, die meisten Menschen noch nie wirklich dynamikreiche Musik gehört haben.
Wie hört sich „Dynamik“ überhaupt an?
Ich schlage vor, diesen Umstand als erstes zu ändern und einfach mal zu hören, worum es hier überhaupt geht, okay?
Um Musik mit wenig Dynamikumfang zu hören, könntet ihr auch einfach eurer Radio einschalten. Bei uns gibt es ein ganz extremes Beispiel, nämlich Metallicas „Death Magnetic“, bei dem man streng genommen nicht mehr von „Dynamik“ reden kann, denn die Aufnahme ist nicht nur vollkommen totkomprimiert, sondern sogar übersteuert.
Das Beispiel für dynamikreiche Musik ist „Tricycle“ von Flim & the BBs. Eine recht unspektakuläre Jazznummer, die es aber in sich hat.
Am besten hört ihr das Stück über eine gute Anlage oder gleich im Kopfhörer. Vorsicht mit der Lautstärke! Das Klavier am Anfang sollte nicht lauter als Zimmerlautstärke sein. Vertraut mir!
Na, erschrocken? DAS ist Dynamik! (Ich selbst zucke immer noch jedes Mal und ich kenne das teil seit 20 Jahren.)
Was sofort klar wird: So eine Aufnahme kann man in den allermeisten Fällen überhaupt nicht genießen. Unterwegs oder beim Nebenbeihören sind entweder die lautesten Stellen zu laut oder die leisen nicht zu hören. Selbst wenn man zu Hause konzentriert Musik hört, ist es fraglich, ob die Nachbarn das lange mitmachen.
Aber wie groß sind die Dynamiksprünge von „Tricycle“überhaupt? Das kann ich euch sagen, es sind sind ziemlich genau 30 dB, wie ihr anhand dieses Screenshots gut sehen könnt.
Links vom Playhead (die dünne senkrechte rote Linie) seht ihr das Soloklavier. Es spielt bei einem Pegel von ca. -36dB. Die rote Linie markiert den ersten Schlagzeugeinsatz, der bis ca -6dB reicht. Das ist also in etwa die Dynamik, die eine kleine Jazzband mit nichts als Schlagzeug, Klavier und Kontrabass erreicht, wenn sie nicht (oder kaum) komprimiert wird, um radio- bzw alltagstauglich zu sein. Heftig, was?
Zum Vergleich: Moderne Pop- oder Rock sieht in etwa so aus:
Einen nochmals um Größenordnungen höheren Dynamikbereich schafft natürlich ein Symphonieorchester. Klar, der Unterschied zwischen der Lautstärke einer einsamen Sologeige und der gesamten Besetzung ist gewaltig. Um ihn in Zahlen zu gießen: Er beträgt so um die 70 dB.
Diese Dynamik ist übrigens der Hauptgrund, warum sich unsere Ohren so selten täuschen lassen und HiFi es eigentlich nie schafft, die Illusion zu schaffen, wirklich im Konzertsaal zu sitzen.
Um den vollen (oder auch nur einen ausreichend großen) Dynamikbereich eines Orchesters darzustellen, muß man also mindestens 70dB darstellen können und ausserdem noch ca 30 – 40dB Reserve einplanen, denn selbst eine leise Sologeige soll ja nicht im Rauschen untergehen.
Der Dynamikumfang von Vinyl, MP3 und Co
Wie sieht es denn nun aus mit dem Dynamikumfang gebräuchlicher Tonträger oder Dateiformate?
Auch hier ist die Antwort wieder recht simpel. Alle gebräuchlichen Digitalformate (auch mp3) erreichen mindestens 90dB. Das ist für praktisch alle Abhörsituationen mehr als ausreichend und zwar mit einer gehörigen Reserve.
Die Schallplatte kann theoretisch (DMM-Mastering) bis zu 70dB erreichen, in der Praxis wohl eher 50-60dB. Das bedeutet, bei „Tricycle“, dem oben behandelte Jazz-Stück, würden die ersten Klaviertöne von einem deutlich hörbaren Rauschen begleitet werden, würde man das Stück auf Vinyl pressen.
Da das ein ziemlich extremes und audiophiles Beispiel ist, kann man sagen, dass der Dynamikumfang einer LP immer noch groß genug ist, solange man keine dynamikreiche Orchestermusik damit hört. (Ein bisschen Rauschen und Knistern gehört für Vinylliebhaber zum Erlebnis dazu. Anders wäre es mit Knacksern aufgrund von Staubkörnern in der Rille. Diese würden während der leisen Passagen sehr laut und störend wirken.)
Fazit:
Ein großer Dynamikumfang wird gerne als Argument für oder gegen Tonträger- oder Dateiformate genutzt. In realistischen Abhörsituationen wirkt eine hohe Dynamik allerdings eher störend als förderlich für den Musikgenuss. Selbst Vinyl, das in puncto Abbildung von Lautstärkeunterschieden den Digitalformaten weit unterlegen ist, ist mehr als hochauflösend genug, um den Dynamikbereich der allermeisten Produktionen (ausser Orchestermusik) realistisch zu übertragen. Das limitierende Element sind in den meisten Fällen sowieso die Lautsprecher oder das Sozialgefüge (vulgo die Nachbarn).
Den Dynamikbereich von Livekonzerten (egal ob Klassik, oder anderer Musik) realistisch abzubilden gelingt ausschließlich professionellen Beschallungsanlagen oder Kopfhörern.
Warum klingen Schallplatten dennoch oftmals dynamischer, als ihre digitalen Konkurrenten?
Warum ist dennoch so, dass moderne Vinylschnitte oft dynamischer und lebendiger klingen, als ihr Pendant auf CD oder File?
Das liegt am sogenannten „Loudness-War“, der seit vielen Jahren dazu führt, dass Musik immer dynamikärmer und permanent am oberen Limit der maximal möglichen Pegel auf dem jeweiligen Medium gespeichert werden. Musik für den Massenmarkt wird darauf getrimmt, im Radio möglichst laut zu wirken, um sich besser gegenüber dem Stück davor oder danach durchzusetzen. (Siehe dazu auch meinen Artikel zum Thema „Loudness-War“ bzw dem Unterschied zwischen Lautstärke und Lautheit.)
Die Pegel, die dabei üblich geworden sind, wären auf einer Schallplatte nicht darstellbar. Es würde schlicht und ergreifend die Nadel aus der Rille fliegen. Also wird für die Schallplatte das Material anders gemastert. Zum einen um die Pegel in einem Bereich zu halten, den die Tonabnehmer noch wiedergeben zu können, zum anderen um dem potentiell audiophileren Publikum, das sich noch Schallplatten leistet eine bessere Klangqualität zu liefern. Und das führt zu der -gelinde gesagt- seltsamen Situation, das moderne Musik auf dem Medium mit dem geringsten theoretisch möglichen Dynamikumfang dennoch mit einer größeren Dynamik aufgezeichnet wird, als zum Beispiel auf der CD. Verkehrte Welt!
Verstanden. Klasse Arbeit.
Aber gilt das alles auch für klassische Musik?
@Hamburger Jung: Das gilt alles ganz genauso für klassische Musik. Insbesondere der Teil, der beschreibt, das eine hohe Dynamik in den meisten Hörsituationen eher störend ist. Klassische Musik wird zum Beispiel im Radio oft per Hand nachgeregelt, so dass die leisen Stellen lauter sind.
Der letzte Absatz gilt allerdings nur für Pop- und Rockmusik.
[…] Blogrebellen […]
Alles gut, alles richtig. 2 kleine Anmerkungen seien erlaubt: die Scheibe von Metallica heißt „Death Magnetic“ (nicht Magnetique) und es gibt sie auch in einer nicht so fürchterlich übersteuerten Version: http://mastering-media.blogspot.de/2008/09/metallica-death-magnetic-sounds-better.html
Wo man die allerdings legal erwerben kann, weiß ich auch nicht 😉
@da]v[ax
Danke für den Hinweis. Ich habe es korrigiert. Über das Album, die Guitar Hero-Version und die Petition schreibe ich evtl noch einen separaten Post. 🙂
[…] klingt immer gut. Und mehr ist sowieso besser. „Dynamik“ ist der mit Abstand am meisten missverstandene und missbrauchte Begriff aus der Audiotechnik. Der nächste Punkt ist eher der Abteilung „sprachlicher Bullshit“ zuzuordnen. Was […]
[…] der dynamikreichsten Stücke, die wir überhaupt kennen, ist “Tricycle” von Flim & the BB’s. Mann […]
[…] Outdoor-Speaker von Philips – Frühling, Sonne, Musik und raus an die frische Luft FAQ – Was versteht man eigentlich unter „Dynamik“ in der Musik? Analog vs. Digital – Klingt Musik von Vinyl wirklich besser? Elektronische Musik […]
[…] der dynamikreichsten Stücke, die wir überhaupt kennen, ist „Tricycle“ von Flim & the BB’s. Mann […]
[…] ausgerichtet. (Stichwort: Nyquist-Shannon-Abtasttheorem) Wir sind keine Fledermäuse und schon der Dynamikbereich, der auf eine CD passt, ist um Größenordnungen mehr, als unterwegs irgendeinen Sinn ergeben […]
[…] oder Dur (fröhlich) geschrieben ist. Das kann der Komponist aber noch beispielsweise durch die Dynamik, das Tempo oder der Artikulation verfeinern. Wenn das Lied zum Beispiel schnell, laut und abgehackt […]
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