Ich kann nicht mehr ganz so genau sagen, wie lange es her ist, ich glaube, ich war fünfzehn, vielleicht auch schon sechzehn.
Ein ziemlich gehemmtes, extrem spät zündendes Teenager-Mädchen, das sich hauptsächlich mit Musik befasste, weil das eines der Dinge war, mit dem es sich auskannte.
Musik war schon früh sehr wichtig für mich. Musik war eine Flucht und eine Quelle der Inspiration.
Es blieb nicht aus, dass ich mit der Zeit gewisse musikalische Vorlieben entwickelte, geprägt vor allem durch das, was meine Eltern hörten. Da gab es große und kleine schwarze Scheiben von Abba (die meine norwegische Mutter vor allem aus Heimweh nach Skandinavien viel gehört hat, als ich noch in ihrem Mutterleib meine Zeit totschlug und als Kind liiiiieeeeebte ich das Cover von Voulez Vous, fragt mich nicht, wieso), Beatles & Stones natürlich (Papa), Mikis Theodorakis (beide), Mercedes Sosa (Papa, glaube ich), Hannes Wader (auf jeden Fall Papa). Die Musik bei uns zu Hause war immer auch ein bisschen politisch angehaucht, Lokomotive Kreuzberg lief öfter (der Text von „Hey Mister Amerika“ gilt auch heute noch!), Harry Belafonte natürlich (meine erste große musikalische Liebe), Miriam Makeba… Um nur ein paar zu nennen.
Nachdem ich meine erste Liebe zu Herrn Belafonte hinter mir hatte (ich bin ihm auch heute noch äußerst gewogen, ein toller, toller Mensch und großer Künstler!), kam dann, im erwähnten Alter von ca. 15 Jahren, meine erste GROSSE musikalische Liebe ins Spiel: Paul Simon.
Ich glaube, es war zu Hause bei einem Freund, als mir die CD Graceland in die Hände fiel. Die gehörte den Eltern meines Kumpels und war damals nicht brandneu, vielleicht zwei, drei Jahre alt. Und ich hatte auch schon davon gehört, war ja in den Medien. Da hatten sie ihn stark angegriffen, da er den Bann für kulturelle Kontakte nach Südafrika schlicht ignorierte und es sich nicht nehmen ließ, mit schwarzen Künstlern aus Südafrika und Lesotho zusammenzuarbeiten. Letzteren tat er damit einen großen Gefallen, da ihre Kunst nun einem breiteren Publikum zugänglich war. Letztlich hat dann wohl jemand begriffen, dass man mit Kultur politisch etwas bewegen kann, Herr Simon bekam 1987 einen Grammy für die „Platte des Jahres“, und die ganze Apartheid-Thematik, die wurde zu der Zeit auch ein bisschen mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Zumindest hab ich das so in Erinnerung.
Aber gut, ich war 15. Und schwer verliebt. In Derek aus der Parallelklasse und in Paul Simon. Beide Lieben blieben unerfüllt (schluchz), aber die Paul Simon-Nummer gab mir trotz allem viel zurück.
Allem voran, ein neues Musikinstrument. Nach damals sieben oder acht Jahren Klavierunterricht, bekam ich eine Western-Gitarre geschenkt (vom Vater des besagten Kumpels, in dessen Haus ich die Graceland-CD… ach, Ihr wisst schon) und fing an, mir die Akkorde draufzuschaffen. Harmonielehre beherrschte ich ja bereits. Wäre ich heute 15, würde ich mir alle Simon-Videos auf youtube reinfahren, bis ich sie auswendig könnte, aber damals, das war das Ende der Achtziger, Musikfernsehen gab es bei uns zu Hause nicht (wir hatten kein Kabel), Internet hatten nur CIA & KGB. Also ganz klassisch die Magazine gewälzt. Im Kiosk erstmal Rolling Stone und so durchgeblättert (Inhaltsverzeichnis gecheckt), und das Heft zum Leidwesen des Kiosk-Besitzers („Dit is hier keene Leihbüscherei, wa!“) nur gekauft, wenn was über ihn drinstand. Taschengeld war knapp. Nichtsdestotrotz und dank meines Nebenjobs als Zeitungsmädchen hatte ich schnell alle Solo-Platten von Paul Simon zu Hause, und dann checkte ich irgendwann (das war mir vorher einfach nicht bewusst gewesen), dass der ja die eine Hälfte von Simon & Garfunkel ist, bzw. war!
Also auf noch mehr Platten sparen. Der Wahnsinn! Und die waren ja auch alle schön! Ich hab mir die Klaviernoten gekauft, damit ich daraus die Akkorde für Gitarre ableiten kann, um mich selbst zu begleiten. Simon’s Tonlage lag mir (bis auf die ganz tiefen Töne), diese Musik sprach mich auf eine Art an, die ich noch nicht kannte, und ich ging völlig darin auf. Ich saß stundenlang (und das meine ich wörtlich) mit Papa’s Kopfhörern vor dem CD-Player und hörte die CDs rauf und runter. Irgendwann konnte ich alle Texte. Einschließlich Simon & Garfunkel. ALLE.
Mit 17 kam dann das absolute Highlight meiner großen Musik-Liebe – ein Konzert in der Waldbühne. Es war der 27. Juni 1991, ich habe das Konzert-Poster in meinem Studentenwohnzimmer in Sondernheim hängen gehabt und werde das Datum eh nie vergessen, als ich mit meinem Kumpel Sascha – seines Zeichens Drummer und Ober-Fan von Steve Gadd, der als einer der besten Jazz-Schlagzeuger überhaupt bei vielen von Pauls Simon’s Platten mitgewirkt hatte und ihn auf dieser Tour begleitete – und tausenden anderer Fans in der Waldbühne saß und auf den Großmeister der leisen Töne wartete.
Erwähnte ich, dass es – natürlich – in Strömen regnete? Mir war das aber egal, ich saß während der Vorgruppe (fucking Van Morrison und mir war das wurscht) auf dem Rasen, geschützt von einem neongrünen riesigen Regenponcho, der nicht nur mich trocken hielt, sondern auch den Rasen unter mir wie ein Zelt.
Und dann, endlich, war der Moment gekommen und Gott, äh, Paul Simon betrat die Bühne. Ich war so überwältigt, dass ich ein kleines bisschen geheult hab, bis heute weiß ich nicht, ob Sascha das mitbekommen hat – aber der war eh zu beschäftigt, um einen Blick auf den Drummer zu erhaschen, ihm quasi auf die Finger zu schauen, aber der saß natürlich ganz hinten auf der Bühne, beim Rest der Rhythmus-Gruppe.
Und, Leute, ich schwöre Euch, es ist die Wahrheit, beim ersten Akkord von Paul’s Gitarre HÖRTE ES AUF ZU REGNEN, es war wie im Film und ich weinte noch ein bisschen mehr.
Es war magisch, ich war in Trance und hatte die ganze Zeit das ganz bewusste Gefühl, dass das eines dieser Erlebnisse ist, das man bis an sein Lebensende nicht vergisst. Traurigerweise kam auch an diesem Abend irgendwann die letzte Zugabe – obviously – The Sound of Silence, aber selbst die war perfekt: bei der Liedstelle „But my words like silent raindrops fell“ fing es wieder an zu regnen und die Leute applaudierten diesem vollendeten Moment! Uns allen war scheißegal, dass es regnete, es war der letzte Song und wir alle wussten das!
Damit möchte ich den ersten Teil dieser Mini-Longread-Serie beschließen. Nur soviel: ich mag den Mann immer noch, ich hör seine alten Sachen auch heute noch supergerne (nichts singt sich so hervorragend unter der Dusche wie Simon’s Liedgut!!!), einige der Kompositionen sind zeitlose instant classics; Meilensteine der Musikgeschichte. Aber doch, heute ist mein Verhältnis zu Paul ein klein bisschen zwiespältig – warum, das wird der geneigte Lazer in der Fortsetzung dieses Longreads erfahren. Bleibt uns gewogen!
[…] 1096 Worte über große, wahnsinnige Teenager-Liebe […]
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