Wind of Change: Warum ich in die Hölle komme und Irans neue Generation vielen Angst macht

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„Geht da nicht so rein! Das ist Sünde!“ Die Frau rückte ihren schwarzen Schleier wieder in Position. Mit ‚da rein‘ meinte sie die Moschee, begegnet war ich ihr, als ich mit meiner Mutter und meinem Vater quer über den Vorplatz lief und eigentlich in die Tontöpferei direkt nebendran wollte. ‚Sünde‘, damit meinte sie unseren Kleidungsstil. Unsere bunten Kopftücher bedeckten nur den halben Kopf. Unsere Mäntel figurbetont und bis zu den Knien lang.
Ich blieb stehen und schaute sie mit einem ‚Ernsthaft?’Blick an. Respekt hin oder her, aber hier konnte ich nicht innehalten. „Ich nehme es auf mich. Ich geh in die Hölle und du in den Himmel. Ist doch alles gut!“ Sie lief weiter und drehte sich noch ein paar mal um, während sie sich an ihrem Schleier festhielt. Mein Vater rief noch hinterher, dass sie sich um ihren eigenen Kram kümmern sollte. Respektlos? Ja, bestimmt. Aber dieses Thema ist ein sehr empfindliches. Ist es seit der Revolution.
Leben und leben lassen? No. Da schauen, besonders Frauen, drauf. Männer fühlen sich eigentlich nicht wirklich ‚bedroht‘, wenn eine Frau mal leger gekleidet ist.

Des einen Werteverfall ist des anderen Freiheit

Den Besuch im Iran hab ich damit verbunden, mir meine Pigmentflecken per Laser entfernen zu lassen. Auf Empfehlung gingen wir in eine Praxis, die als eine der modernsten gilt. Details spar ich hier aus, denn eigentlich war das interessanteste an meinem Aufenthalt dort eine kleine Szene im Vorbereitungsraum, bevor man zum Lasern reingerufen wurde. Gemeinsam mit vier Frauen saß ich dort und wartete bis die örtliche Betäubung wirkte, und weil wir unter uns waren, nahm ich mein Kopftuch ab und zog meinen Mantel aus. Zwei weitere Damen nahmen nur ihr Kopftuch ab.

Die eine war Oberschullehrerin und die andere kam aus einer Lehrerfamilie. Sie unterhielten sich über die niedrigen Gehälter, die neue Generation von männlichen Lehrern, die an Mädchenschulen jetzt unterrichteten. Wie die Lernkultur am verfallen sei. Die eine hielt sich ein Eispack an ihr Kinn und erzählte von einem jungen Mathelehrer mit einem Pferdeschwanz an der Schule ihrer Tochter. Die Mädels würden doch nix lernen und sowieso sei es suspekt, wenn ein solcher Mensch in eine Mädchenschule ginge.
Ich schaute sie nur an. Höflich hörte ich zu und hielt meine Klappe. Eigentlich ist es überall gleich. Alle beschweren sich über die nachkommende Generation und einem Kulturverfall. Was das für jeden bedeutet find ich in diesem Fall sehr amüsant.
Am liebsten hätte ich ihr von meinem Deutschlehrer in der Oberstufe erzählt, der uns mit langen Haaren, engen, sehr engen Jeans und einer Rocker-Weste jeden Morgen gut gelaunt begrüßte. Er ist mit ein Grund, warum ich mich für Literatur interessierte und daraus die Liebe zur Kulturwissenschaft entstanden ist. Oder mein Englischlehrer, den ich ganz toll fand, weil er jung, kreativ und nicht so verbittert war.

Das würde diese beiden gelehrten Frauen nur überfordern. Also hielt ich die Klappe und strahlte weiter aus, dass ich nicht von dort bin bis ich ins Behandlungszimmer gerufen wurde.

Nach meiner Behandlung kam ich wieder zurück in den gleichen Raum um mein Gesicht zu waschen. Nach einigen Beglückwünschungen zu meiner Behandlung (im Iran ist es üblich sich zu beglückwünschen, wenn man sich was neues anschafft. Sei es eine neue Nase oder eine neue Hautschicht) kam ein junger Mann, der ebenfalls eine Behandlung hinter sich hatte, herein um sein Gesicht zu waschen. Es gab anscheinend nur dieses eine Waschbecken in der ganzen Praxis. No idea.

Während alle Frauen locker blieben und keinen Aufstand machten, um sich gleich zu bedecken, echauffierte sich das Lehrerkind mit dem Eispack am Kinn. „Entschuldigung?! Sie sind hier nicht zu Hause. Sie könnten sich doch irgendwie bemerkbar machen.“ Es störte sie, dass dieser Mann sie ohne Kopftuch gesehen hatte. Ein fremder Mann. „Aber da müssen Sie doch selbst drauf achten, wenn es Sie stört. Das hier ist eine Praxis und nicht Ihr Zuhause.“ Ach, meine Mami. Sie hat es drauf diplomatisch ihre Meinung zu sagen. „Kommen Sie ruhig rein.“ Fügte meine Mutter hinzu. Niemand sonst sagte etwas dazu. Alle blieben locker und einige ließen ihren Kopftuch in ihrer Handtasche. Ich war geflasht. Nicht nur durch die Laserstrahlen, die ich mir hab durchs Gesicht jagen lassen, sondern durch diese Stimmung. Stimmung ist etwas, was ich besonders unterschwellig aufnehme und meist etwas brauche, um sie einordnen und verarbeiten zu können.

Es gibt diese anerzogene und besonders verinnerlichte Wahrung der Sitten, welche die Generation in sich trägt, die die Revolution und auch die Jahre danach besonders bewusst miterlebt hat. Dann gibt es diese junge, digital vernetzte Generation, die sich überall auf der Welt begegnen kann und der alles sofort klar ist. Wir sehen meist die gleichen Videos, tanzen zu ‚Happy‘ und tauschen uns über unseren Modegeschmack aus. Diese Generation verändert. Sie hat keine Angst und hat gelernt sich ihre Freiheiten zu nehmen und die Grenzen – zwischen mir und dir, zwischen Mann und Frau, zwischen jung und alt, zwischen privat und öffentlich – neu zu verhandeln.

Meine Mutter fragte mich einmal im Auto, warum ich nix sage, ihr Kopftuch sei doch nicht mehr auf ihrem Kopf. „Weil es mir egal ist!“ War meine Antwort.

Liberty sieht anders aus! #shopping #iran #freedom Ein von Blogrebellen (@blogrebellen) gepostetes Foto am

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