Es verspricht, ein herrlicher Tag zu werden. Der Luftraum über mir ist so blau wie das Blaue, das einem manche vom Himmel runterlügen.
Sonnenbrillenwetter.
Ich gähne herzhaft und ausgiebig und hätte nichts gegen eine Spontanmanifestierung einer bequemen Hängematte einzuwenden. Aber wie das nun mal so ist mit Technik im Allgemeinen und Zauberei im Besonderen, wenn man sie denn mal braucht, lässt sie einen im Stich. Wie um mir selbst zuzustimmen, gähne ich nochmals und kann nur knapp dem Insekt ausweichen, das in Richtung meines Gesichts fliegt. Das fehlt mir gerade noch, so ein lebendiger Snack kurz nach dem viel zu frühen Frühstück. Das nächste Mal halte ich mir vielleicht doch die Hand vor den Mund.
Sergio und José kommen aus dem Hotel und wir laufen so langsam wie es geht zum Auto.
Da mir nichts besseres einfällt zu dieser frühen Stunde, gähne ich noch ein weiteres Mal.
Wie immer, wenn man am Wochenende oder feiertags hier zu tun hat, liegt das riesige Werk da wie ausgestorben. Kein Vergleich zu der sonstigen Wuselei der knapp 16.000 Mitarbeiter. Auf der einen Seite ist das total angenehm, da im Presswerk mal Ruhe herrscht, auf der anderen macht es einem schmerzlich bewusst, dass man zu den wenigen armen Säuen gehört, die am Feiertag arbeiten müssen. In meinem Fall ohne Feiertagszuschlag.
Als Frau muss ich durch den Keller in die Umkleide, da der alternative Weg obenrum durch eine der beiden Männerumkleiden führt und es eine Beschwerde gab (schade…), nachdem ich mal einem Typ in Unterbuxe in die Arme gelaufen bin – was mir, ganz ehrlich, viel unangenehmer war als dem. Mimose.
Der Keller-Fußboden hier hat Sommersprossen. Ich nenne das so, wenn sich die Metallbutzen (die kleinen Lochabfälle, die aus Stahlblech ausgestanzt werden) in den Boden eintreten und sich nicht mehr wegfegen lassen – wie Kaugummi auf dem Bürgersteig, nur viel schöner, weil die Butzen perfekt rund (manchmal auch eckig oder lang) sind und es ein bisschen aussieht wie grober Konfetti-Glitter. Oder Sternenhimmel. Freckle-Firmament-Fußboden.
Die Damenumkleide ist noch recht neu. Früher gab es nämlich keine – weil es keine Frauen gab, die hier arbeiteten.
Trotzdem sie gerade erst eingerichtet wurde, lief beim Bau wohl ein kleiner Pfusch ab – ich kann von der Damenumkleide einige der Männergespräche nebenan hören, und zwar ziemlich deutlich. Meist höre ich allerdings gar nichts, weil unser Arbeitsbeginn (und das -ende auch) außerhalb der normalen Schichtwechselzeiten (also den Momenten, wo in der Umkleide tatsächlich was los ist) liegen, aber heute fachsimpeln meine beiden Jungs über Gärten und Nutzpflanzen, und so erfahre ich, dass José daheim zwei Orangenbäume hat, und dass demnächst ein Kirschbaum dazukommen soll. So wünscht es sich zumindest seine Frau. Das Gespräch verstummt und man hört eine Tür zuschlagen. Die beiden sind schon fertig mit Umziehen und ich hab mir noch nicht mal die Socken ausgezogen. Heute ist ein Zeitlupentag.
Aus dem Radio in der Werkstatt grölt Meat Loaf „I would do anything for love“, und ich frage mich, ob das wohl der schlechteste Song ist, der jemals geschrieben wurde. Ich entscheide mich dann aber doch für diesen einen Hit von Heroes del Silencio und wünsche mir gleichzeitig, diese Band hätte ihren eigenen Bandnamen ernst genommen. Helden der Stille. Uns wäre einiges erspart geblieben.
Erwartungsgemäß ist nur Frank zugegen, der eigens abgestellt wurde, um meinen Jungs bei ihrer Arbeit zur Hand zu gehen und die Presse zu bedienen oder mal was zu schweißen. An einem Tag wie heute hätte ich eigentlich genug Zeit, selber schweißen zu lernen. Wollte ich ja schon immer mal, wer weiß, wann man sowas mal braucht. MacGyver hat ja auch nicht immer Zeit. Aber irgendwie bin ich heut nicht in der Stimmung, was neues zu lernen.
Mit einigem Entsetzen stelle ich fest, dass der Schrank mit der Kaffeemaschine der Schicht, die uns betreut, abgeschlossen ist. Frank hat keinen Schlüssel. Das bedeutet: Automaten-Plörre. Die in etwa den gleichen Wachmach-Faktor hat, wie Leitungswasser.
Habe ich noch Traubenzucker? Ich taste in meiner Hosentasche rum. Habe ich. Gottseidank. Sonst könnte ich direkt wieder nach oben in die Umkleide gehen und mich auf eine der Bänke legen, um zu schlafen. So wie die chinesische Dolmetscherin, die ich vor drei Jahren mal dabei „erwischt“ hab, wobei grad Pause war und sie ja eigentlich nichts falsches gemacht hat. Aber ernsthaft, diese Bänke sind 25cm breit (ich war eben oben und hab nachgemessen, wirklich) und die lag da auf der Seite, Augen zu, völlig bewegungslos. Totally zen. So zen, dass ich einen Moment lang versucht war, ihr meine Brille vor den Mund zu halten, um zu kucken, ob sie noch atmet.
Wenn ich mich seitlich auf so eine schmale Bank lege, liege ich nach fünf Minuten ganz woanders, nämlich vermutlich auf dem Boden.
Ich zieh mir einen Becher Plörre und denke an das Sprichwort mit dem Teufel und den Fliegen. So ist das eben manchmal. Künstlerpech.
Der Vormittag vergeht wie im Flug, mittlerweile ist auch Matthias da, Franks Kollege und ebenso lustig. Sie fragen mich, ob ich beim Friseur eingepennt bin, weil mein Pony so schief ist. Herrlich, diese gegenseitige Verarscherei. Fast vergesse ich, dass ich eigentlich für die Spanier dolmetschen soll, dass es doch eigentlich Arbeit ist. Aber es ist wirklich sehr entspannt heute.
Gegen Mittag dann Pizza vom Kiosk, dazu Bier und nach letzterem ist es noch viel lustiger.
Viel zu tun habe ich heute wirklich nicht. Viel zu lachen schon eher.
In meinem Job erkennt man die guten Tage daran, dass man genug Zeit hat, sie zu schildern.