Als ich die Halle betrete, sehe ich ihn schon da stehen, in der Kaffee-Ecke. Er winkt mir und ich nicke ihm zu, aber mir ist es unangenehm, dass er mich gesehen hat. Mir wäre es lieber, er würde mich nicht sehen.
Vor drei Wochen, als ich hier ankam, fing es schon an. Er ist derjenige welche, der sich um die Spindschlüssel für Fremdfirmen kümmert. Als eine von zwei oder drei Frauen im gesamten Presswerk fragte ich ihn natürlich auch nach einem Spindschlüssel – und nach einem Schlüssel für die Damentoilette (richtig, Singular, denn es gibt im gesamten Presswerk nur eine einzige, und die ist abgeschlossen), mit dem man auch in die Umkleide kommt. Und in die muss ich ja rein, denn da steht ja mein Spind.
Bisch solo?
In seinem Büro, in das er mich bestellt hat, hält er mir einen langen Vortrag darüber, was für schlechte Erfahrungen sie in den letzten Jahren machen mussten, mit verschwundenen Toiletten- und Spindschlüsseln. Ich entgegne trocken, dass ich bereit wäre, ein Geldpfand zu hinterlegen, dass er aber doch verstehen müsse, dass ich mich irgendwo umziehen muss, damit ich meinen Job machen kann. Ich begreife den Heckmeck nicht, den er macht. Sollen sie halt ein Pfand verlangen und fertig, wie anderswo auch. Ich dränge ein bisschen zur Eile und gebe vor, dass meine Jungs unten im Presswerk ohne mich aufgeschmissen wären (leicht übertrieben), und dass ich mal hinne machen sollte.
Am Ende gibt er mir dann beide Schlüssel ohne Pfand und ich bestätige ihm schriftlich, dass ich versichere, beide wieder abzugeben, wenn mein Aufenthalt beendet ist.
Ich stecke mir die Schlüssel in die Hosentasche, und er begleitet mich zur Damenumkleide, um mir zu zeigen, welcher Spind meiner ist.
Sie ist schick und neu und blitzsauber, das gleiche gilt für die Spinde, ich muss sogar die Stangen mit den Haken selber reinhängen in den jungfräulichen Schrank.
Als der Schlüsseltyp geht, fragt er noch: „Bisch solo?“ Er ist nicht der erste, der mir diese Frage stellt, dennoch wundert und befremdet mich seine Direktheit, also sage ich schnell: „Nö.“ Und er kann es sich nicht verkneifen, zu entgegnen: „Wennsch nächste Mol solo bisch, sagsch bescheid!“
Vielleicht hätte ich nicht so nett sein sollen…
Wahrscheinlich war das bloß ein Kompliment, ich denke mir nichts weiter dabei und ziehe mich um. Doch aus irgendeinem Grund geht es mir nicht aus dem Kopf. Ich frage mich die ganze Zeit, ob das umgekehrt genauso wäre – wenn man sich vorstellt, ein Typ lässt sich zum Krankenpfleger ausbilden (typischer Frauenberuf halt), ob der von seinen Kolleginnen (die dann wahrscheinlich in der Überzahl wären) auch so direkt und unverblümt angegangen würde? Letztlich käme das wahrscheinlich auf die betreffende Person an, ich bin ja selber oft ziemlich forsch gewesen, wenn mir einer gefiel. Aber eben nicht am Arbeitsplatz. Und ganz so plump und langweilig wie der war ich auch nie – aber das ist sein Problem. Einen Moment lang denke ich noch, „Vielleicht hätte ich nicht so nett sein sollen…“ und denke an das Kompliment, das ich ihm ganz zu Anfang gemacht hatte, als wir einander vorgestellt wurden – seinen Nachnamen möchte und werde ich nicht öffentlich machen (in erster Linie weil der Typ so armselig ist), nur soviel: er war sehr charmant (der Nachname!) und das konnte ich nicht unkommentiert lassen. Vielleicht fühlte er sich dadurch ermutigt, so… direkt zu mir zu sein.
He is invading my fucking space!
Ich vergesse das ganze bis zu dem Moment, als ich ihn einen Tag später (vielleicht waren es auch zwei) wiedersehe. Er unterhält sich mit jemandem, hat mich aber gesehen und hält mich am Arm fest, als ich an ihm vorbeigehe. Er raunt mir ins Ohr: „Mir müsset nochher amol miteinandr rede!“ und ich überlege noch, was mich mehr stört, dass er mich einfach anpackt oder dass er mir überhaupt nah genug kommt, um mir ins Ohr zu flüstern. „Worüber denn?“ frage ich ungerührt und er erwidert: „Übr alles!“ und grinst.
Ich sage nichts weiter und lasse ihn stehen. He is invading my fucking space. Als er eine halbe Stunde später tatsächlich auftaucht, denke ich noch „Vielleicht isses ja was berufliches und er war vorhin einfach nur ein bisschen doof, weil er nicht weiß, wie Small Talk geht…“ aber er will tatsächlich nichts wirklich wichtiges besprechen und versucht stattdessen, mir ein völlig belangloses Gespräch aufzudrücken. Was ich denn so mache in Berlin. Und überhaupt. Wielange ich denn schon mit meinem Freund zusammen bin. Sowas halt. Dinge, die ihn definitv nichts angehen. Ich werde gerettet in diesem Moment, denn einer meiner Spanier winkt mich heran, mein Typ wird verlangt. Ich sehe den Schlüsseltypen nur etwas geringschätzig an, zucke mit den Schultern und gehe.
Als ich nach ein paar Minuten zurück in mein kleines Mini-Büro komme (ein Tisch mit Stuhl), ist er zum Glück nicht mehr da.
Und wieder vergesse ich den Typen.
Das Ding ist – man möge mir diese gewisse Vermessenheit verzeihen – das passiert mir nicht zum ersten Mal.
Fünfzehn Jahre mache ich diesen Job jetzt, und mir ist völlig klar, dass man als einzige Frau unter hunderten von Typen natürlich schon rein von der Sache her auffällt. Da ist es dann auch eher zweitrangig, ob man besonders hübsch ist oder sonstwie ins Auge fällt. Und dass man dieses Ambiente als Frau „abkönnen“ muss, das weiß ich seit meinem ersten Trip in diese Materie. Es geht ja auch nicht um die Zoten, die da gerissen werden, da bin meist ich die, die am lautesten lacht. Es geht auch nicht um die Pin-up-Bildchen am Kaffeeschrank oder die softcore supershort porn videos auf deren Smartphones. Darüber lach ich mich kaputt oder ich kuck’s mir gar nicht erst an.
¡Calientapollas!
Um all das geht es nicht. Es geht darum, dass ich in diesem Beruf auch ein bisschen darauf angewiesen bin, nett zu sein, denn das erleichtert meine Arbeit (und die der Jungs, die ich betreue) ungemein. Wenn man aber nett und sympathisch ist, missverstehen das viele Typen und fühlen sich ermuntert, zu weit zu gehen. Da ist man dann direkt der Kumpeltyp, und, logo, wenn die Frau über einen derben Witz lacht, ja, dann kann ich sie bestimmt auch plump und dreist anbaggern. Was auch wiederum etwas eigenartig ist, wenn ich doch der Kumpeltyp bin, würden die ihre Kumpel auch so platt umwerben? Na ja.
Zeige ich dann aber meine Grenzen auf und sage: „So nicht, Sportsfreund!“, dann bin ich die Zicke. Die, die alle immer nur heiß macht. So, als hätte ich denen durch meine nette Art – und ich verstelle mich noch nicht mal – ein Versprechen gegeben, das ich jetzt nicht halten will. „Calientapollas“ nennen die das auf Spanisch (ich hab das auch bei meinen spanischen Schäfchen schon erlebt), von „calentar“ = heiß machen und „polla“ = Schwanz.
Und dann dieses Argument immer wieder, auch noch im Jahr 2015, „Sie wollte es doch auch!“ „So wie die sich anzieht!“ „Die hat mich provoziert!“
Ja nee, klar. Ihr könnt überhaupt nichts dafür. Hm. Verstehe. Ihr armen Opfer. Merkt Ihr eigentlich nicht, was für ein Armutszeugnis Ihr Euch da selber gerade ausstellt? Könnt Euch nicht wehren gegen die Triebe. Achso ja. Stimmt, die Triebe! Gähn. Voll unmännlich, von der Feigheit mal abgesehen, sich derart den Trieben unterzuordnen.
Irgendwie hat mich das jahrelang nicht gejuckt, keine Ahnung, warum.
Aber im konkreten Fall nervt es mich kolossal.
Denn als ich den Schlüsseltypen das nächste Mal treffe, sitze ich schon an meinem Laptop, er kommt so seitlich von hinten, und labert mich wieder plump-vertraulich an, und fragt direkt nach dem „Guten Morgen!“ wann wir uns denn nun endlich mal küssen würden. Ich bin völlig perplex und kucke ihn an: „Bitte was?!“ Na, so ein bisschen Rumknutschen halt.
Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, stehe ich einfach auf und gehe an ihm vorbei.
Keine Angst vor armen Würstchen
Nicht, dass ich Angst vor ihm hätte. Das is ’ne ganz arme Wurst, dieser Typ und ich bin mir sicher, wenn ich den so richtig zusammenscheiße (und das kann ich verdammt gut), sagt der nie wieder einen Ton, zu keiner Frau der Welt. Und ich bin mir auch sicher, dass der mich wahrscheinlich tatsächlich einfach nur toll findet und sich im Leben nie irgendwas trauen würde, selbst wenn ich auf seine Avancen einstiege.
Aber diesmal hat mich seine Dreistigkeit sauer gemacht, schließlich weiß er, dass ich nicht zu haben bin, und ich beschließe, mir das nicht länger gefallen zu lassen. Vielmehr entscheide ich, ihm bei der nächsten Nummer mit dem Betriebsrat zu drohen.
Wie gesagt, ich weiß nicht genau, warum mich gerade diese Nummer so stört, denn der Typ ist, like I said, eine armselige (und vermutlich auch schlaffe) Wurst.
Das einzige, das ich mit Sicherheit weiß: In die Männerumkleide kann man einfach so rein und raus, ganz ohne Schlüssel, und in der Männerumkleide hängt auch kein Panik-Notruf, den Mann im Falle eines Übergriffs drücken kann.
[…] hat gestern mit 1461 Wörtern über den real existierenden Chauvinismus ihr Herz […]
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