Der Begriff „Black Music“ beschreibt hierzulande eine musikalische Mixtur aus Hip Hop und R´n‘B, die dazu dient, herausgeputzte Damen, welche die Handtasche vorzugsweise in der Armbeuge tragen, auf den Dancefloor zu locken. Ladies Night, alle Girls Eintritt frei, Begrüßungsprosecco, Stößchen! Was es für diese Zielgruppe nicht gibt, ist ein Open Air Festival. Wahrscheinlich ist das hochliegenden hygienischen Ansprüchen geschuldet. Oder mangelnder Kompatibilität zwischen High Heels und Matschboden. Vielleicht – letztes Vorurteil – bleicht die Sonnenbank auch das Hippie-Gen aus. Das scheint ansonsten weit verbreitet, denn Open Airs überziehen die letzten Jahre das Land wie Pickel die Haut des Pubertierenden. Das befremdliche an dieser Entwicklung: nicht Musik oder Künstler stehen im Fokus, sondern Seifenblasen, Farbbeutel oder eine dieser sagenumwobenen „Funktion One„. Es scheint, der Typus „Veranstalter“, der in den 90igern After Work Parties geschmissen hat, reitet hier ein neues Steckenpferd. An frischer Luft.
Woodstock gilt als die Mutter aller Festivals. Es war nicht das erste, dafür aber das legendärste. Anders als man vermuten könnte, wurde bereits in der Hippie-Ära kommerziell gedacht. Ursprünglich sollte der Gewinn aus dem Festival das Tonstudio des Veranstalters Michael Lang finanzieren. Die Rechnung basierte auf 60.000 Besuchern bei einem Ticketpreis von 24 Dollar (heutige Kaufkraft: 155 Dollar). Letztlich fuhr man Verluste ein, obwohl – oder besser weil – sich eine Million Menschen auf den Weg machten. Von denen fanden 400.000 auf das Gelände. Der Rest verstopfte umliegende Straßen, so dass die Künstler mit Hubschraubern eingeflogen werden mussten. An kassieren war nicht zu denken, Woodstock wurde zum kostenlosen Happening erklärt. Um das Spektakel zu vermarkten wurden die Konzerte aufgezeichnet. Letztlich waren es die daraus resultierenden Platten und Videos, die Michael Lang dann doch noch viel Geld in die Kassen spülten. Somit hatten alle gewonnen. Der Veranstalter hat sein Geld, die Besucher haben verklärten Erzählstoff für Generationen, und viele der damals auftretenden Acts nahmen durch Woodstock drei Stufen auf der Karriereleiter.
Spaßgesellschaftsform: Ferienkommunismus
Über die Jahrzehnte etablierten sich auch in unseren Gefilden Open Air Festivals für nahezu jeden Geschmack. Vom Summer Jam, über Wacken bis zum WGT. Mixery sponsort Zelte, Axe stellt die Dusche und Seat verleiht – schockschwerenot – einen Helga-Award. Markenkommunikation mit Musik. Mit den Neunzigern wurde es elektronisch und aus illegalen Raves wurden mancherorts Massenevents. Nehmen wir den Ferienkommunismus namens Fusion Festival. Keine Werbung, keine Infos übers Programm, Tickets nur mit Glück in einer Verlosung zu bekommen, tiefstes Ostdeutschland – und trotzdem bis zur selbstauferlegten Wachstumsgrenze voll mit Leuten. 70.000 glückliche Gesichter, weil es in Lärz wirklich anders ist. Noch immer. Ich mag die Fusion. Die Crew da schafft es jedes Jahr wieder mich mit positiver Energie aufzuladen. Angeblich ist der Kommunismus gescheitert, für ein langes Wochenende scheint die Ferienvariante zu funktionieren: menschlich, miteinander, musikalisch.
Als Kehrseite hat die Fusion in meiner Wahrnehmung das gepusht, was ich „schöne Menschen im sanften Gegenlicht“ nenne. Nicht, dass ich was gegen Schönheit hätte, aber die Hulareifen schwingende Grazie mit Glitzer im Gesicht ist für mich – da tu ich dem armen Ding bestimmt Unrecht – die sportive Gallionsfigur am Partyboot der oberflächlichen, hedonistischen, Sich-Selbst-Feierei. Der männliche Gegenpart trägt trendigen Bart und kecke Melone. Dazu ein lustiges Schild, mit verrücktem Spruch drauf. Oder ein Tierkostüm. Immerhin nachhaltig. Das Kostüm kann man in drei Jahren nochmal zum Junggesellenabschied tragen.
Schönes und Spaß sind freilich nicht zu verurteilen, aber irgendwie führt der erweiterte Gedankengang vom Bachstelzenfloor zu einem Filetgrundstück in Berlin Mitte, wo mit dem Projekt Holzmarkt ein nicht unumstrittenes Bar25-Mörchenland gebaut werden soll. Wenn die In-Crowd Visionäres baut: Große Investionssummen, große Pläne, große Politik. „Grasswurzelkapitalismus“ war zu lesen. Kichern … Zeit für einen Blick in die Provinz.
Melodien für 2,5 Millionen
Beispiel Hoyerswerda. Die sächsische Kleinstadt wurde vorletztes Jahr vom Open Air Fieber erfasst. Wir erinnern uns, das ist da, wo es 1991 zu rassistischen Pogromen kam. Die Ereignisse von damals erzeugten Nachhall bis heute und so ist es nachvollziehbar, dass sich Hoyerswerda vom Ruf als Nazikaff (ein Wanderpokal, den gegenwärtig meine Heimatstadt Dresden in Besitz hat) reinwaschen möchte. Mit toller Musik. Drei tolle Tage lang. Langanhaltende positive Außenwirkung. Toll, Toll, Toll.
Seenlandfestival hieß der Wahnsinn, welcher in erster Linie finanzieller Natur war. Keine Ahnung was für Stimulanzien im Spiel waren. Der simple Gedanke: Wir machen mal ein richtig großes Open Air Festival. Was andernorts über Jahre wuchs, müsste am Rand eines Tagebaurestlochs doch sofort gedeihen. Oder? Die Seen waren bis vor kurzem auch noch nicht da und nun existiert eine ganze Landschaft davon. Hat was vom Bayernkönig Ludwig II., der ließ sich auch Traumwelten bauen. Geld spielte keine Rolle, gibt ja Kredite. Apropos Geld: Veranstalter des Seenlandfestivals war die örtliche Stadthalle und ähnlich wie bei Woodstock war der zu erwartende Gewinn bereits dafür verplant, das Defizit zu tilgen, welches der Laden übers Jahr anhäufte.
Zur Zeremonie flog man als Headliner die Toten Hosen, die Fanta 4 und David Guetta ein. Von dem darf man halten, was man will, er ist aber das, was man einen Weltstar nennt. Vor allem bei der Gage, die pro 90 Minuten Set mit 200.000 Euro kolportiert wird. Plus Nebenkosten, plus Steuer (Stichwort: „Ausländersteuer“), plus Extrawünsche. Die gehen bei Guetta von Learjet bis Fünf Sterne Suite. Um es frei nach Fritz Teufel zu sagen. „Wenn es denn der Party dient“. Hossa! Open Air, draußen. Irgendwo bei Hoyerswerda.
Natürlich floppte das Unterfangen. Ein naheliegender Grund könnte die eingangs erwähnte Inkompatibilität von Zielgruppe und Zeltlager sein. Oder ein Lineup, so überraschend und ausgefallen, wie die tägliche Rotationsschleife im sächsischen Formatradio. Kurzum: über drei Tage kamen – inklusive üppiger Kontingente an Freikarten – um die 20.000 Besucher, das Minus lag bei 2,5 Millionen. Entgegen vorheriger, dickbackiger Ansagen sind die nun von der Kommune zu tragen. Vielleicht sollten die Veranstalter beim nächsten Mal (es ist für 2016 ernsthaft eine Neuauflage angedacht) einfach bunten Sand aus dem benachbarten Tagebau über die Besucher werfen. „Holi Festival Of Muttererde“. Dieses Konzept braucht keine Headliner mit riesiger Gage. Eigentlich sympathisch. Nicht!
Besucherrekorde durch Inhalt. Farbbeutelinhalt!
Kennt noch jemand GWAR? Ein Horde Außerirdischer spielt trashigen Schweinerock und spritzt allerlei Zeug ins Publikum. Man war gut beraten in entbehrlichen Klamotten beim Konzert zu erscheinen. Denn nachher waren die bunt, man selbst versifft und glücklich. Ähnlich ist es beim marketingtechnischen Geniestreich der letzten Jahre, dem Holi Festival Of Colours. Die Veranstalter finden sicher vor Lachen schwer in den Schlaf. Holi Shit! 40 Städte in 16 Ländern. World Tour! Nur in Indien nicht, wo das originale Original herkommt.
Also Holi, mit dir geht mein Unverständnis los. Was willst Du mir sagen? Die Webseite verkündet „Bekannt aus Funk und Fernsehen“. Das hört man sonst eher, wenn irgendwo „Die Amigos“ spielen. Euphorisierte potentielle Teilnehmer, meist sehr jung und weiblich, sagen es sich untereinander bei Facebook wortlos. Vorzugsweise mit einer namentlichen Verlinkung. Eventuell noch ein „Chantal, <3 daaaa müssen wir hin„. Ja, warum, fragt die Spaßbremse in mir? Und warum zu Tausenden? Wegen der Exotik, die zwischen Reihen von Dixiklos, Ketten von Bauzäunen und uniformierten Stiernacken am Einlass am besten zur Geltung kommt? Wegen des Gemeinschaftsgefühls? Wegen des Spirits? Leute, das Holi „Endlich auch in Deiner Stadt“ Festival ist Primark auf Electrobeats. Überall gleich, austauschbar, seelenlos. Falls ihr doch hingeht, bei blonden Haaren: Duschhaube nicht vergessen.
Langsam kommt mein Blut in Wallung, wir nähern uns neuesten Trends im Open Air Zirkus. Zuerst fiel mir das bei einer „Gatsby-Party“ auf. Auch die tourt angeblich weltweit und überall nach dem gleichen Schema. Keine Angabe zur Location, kein Lineup, dafür ein Thema („Die goldenen zwanziger Jahre“), viele Superlative und zu erwerbende Tickets im Vorverkauf. Für das Event, mit dem meine Heimatstadt beglückt wurde, folgten einige tausend Facebookzusagen und zwei ausverkaufte Abende. Im Vorverkauf! Ohne nähere Infos. Verrückt. Hier hatte jemand die richtigen Knöpfe gedrückt. Alle Achtung. Die Parties selbst wurden zur Enttäuschung. Eigentlich seltsam, wo doch gar keine Erwartungen an irgendwas bestehen konnten. Dass ein DJ zu ner Mottoparty dieser Art Swing spielt, könnte man vermuten, stand aber nirgends.
Hauptsache Seifenblasen
Einmal sensibilisiert stachen mir ähnliche Konzepte ins Auge. Groß bei Facebook anteasern, mit Zielvorgaben. Ab 300 Zusagen das, ab 1000 Zusagen jenes. Bei 2500 Zusagen schließlich ein internationaler Headliner. Gut, das kann auch DJ Honzicek aus Pilsen sein.
Exemplarisch war das „Seifenblasen Open Air“ (leicht zu verwechseln mit dem „Seifenblasen Festival“). Auch das sollte in mehreren Städten stattfinden. Wobei nur eins gewiss war: eine Million Seifenblasen. Wow! Hüpfburg? Wasserrutsche? Clown Lulu? Ach nee, Lineup war ja nicht bekanntgegeben. Kein Grund für Skepsis. Die Tickets waren für Dresden mit 17 Euro angesetzt und bald wurde ein „ausverkauft“ gedroppt. Panik! Wo kriege ich noch eine Karte her?
Tickets sind nicht mehr nötig. In Dresden und einigen anderen Städten wurden die Sausen bereits abgesagt. Schuld sind die Ämter. Türlich, türlich. Die Seifenblasen sind geplatzt und die ersten Kartenkäufer werden unruhig, ob es nun das Geld zurückgibt. Bestimmt, wenn man intensiv nervt. Fragt sich, wie viele das tun.
Für die Veranstalter bleibt zu hoffen, dass sie nicht schon die angekündigte „fette Funktion One Anlage“ gemietet haben. Die soll ja enorm kosten, weil die auch enorm geil klingt. Falls man sich mal mit der Philosophie der Hersteller befasst, könnte eine weitere Blase platzen. Einfach willkürlich ein 500 Euro teures Mietset in die Pampa zu stellen, ist inhaltlich „Funktion One“, tontechnisch für den Arsch. Aber es wirkt im Marketing ähnlich wie „aus Hausschlachtung“ beim Metzger. Wiesenhof – heftig gescholtene Tierfabrik – könnte sogar einen draufsetzen: „hausgeschlachtet, aus eigener Aufzucht“. Klingt super und ist nicht gelogen.
Es gibt die schöne These, dass Dummheit schon immer da war. Früher hat man das nur nicht so oft gesehen, weil der damalige Facebook-Kommentar ein Leserbrief war. Dann kamen die Nachmittagstalkshows und die Dummheit lüpfte das Röckchen. In den sozialen Netzwerken zieht sie blank. Es bleibt einem viel erspart, wenn man das Leben der Anderen nicht online verfolgt. Einen willkommenen Anlass bietet die Festivalsaison. Wo geht’s bei Euch hin? Ich gebe mir ein Novum: Goulash Disko, an der kroatischen Küste. Vermutlich auch schöne Menschen, vermutlich auch Gegenlicht, hoffentlich trotzdem anders. Die Tickets gab es per Crowdfunding, die Acts sind nach meinem Geschmack, Kroatien kann man immer mal machen. Es wird spannend und ich werde berichten. Textlich kürzer, inhaltlich optimistischer. Versprochen.
Artikelbild (CC BY-SA 3.0) : Wacken 2012 von York Klinkhart
Ganz enorm großartiger Artikel! Ich freu mich schon darauf, in Zukunft noch viele mehr (gerne auch mal optimistischere) zu lesen.
Mein Tip was Festivals angeht: das Garbicz in Polen. 2014 da gewesen und wohl behütet gefühlt. Für 2015 hab ich’s ausfallen lassen, um mir auch mal die Fusion anzugucken. Wer die Fusion schon kennt und sich da gerne mal verloren fühlt, sollte Garbicz unbedingt auschecken. Mit 3.000 Leuten dank des weitläufigen Geländes sehr familiär und mit Liebe gemacht. Und das Essen… mmmh das Essen! Großartig!
https://www.youtube.com/watch?v=55CCBz3N6jY
Im August dann als Fusion-Ausgleich noch auf so’n 600 Leute Ding. Das wird sicher auch der Hit in Tüten. In diesem Sinne: viel Spaß im Urlaub! 🙂
Festivals sind schon seit längerem Big Business und offenbar ist der Markt leicht übersättigt. Die gute Nachricht: Noch besteht freie Festivalwahl und wischen Fusion, Rock am Ring und Goulash gibt es noch jede Menge guter Veranstaltungen an der frischen Luft. Auch große.
[…] ziemlich coole Socke. Er wird uns in Zukunft im Bereich DJism unterstützen. Sein erster Beitrag, “Hände hoch! Festival!” ist auf jeden Fall ein Brett von einem Einstieg, der ein für alle Mal klärt, warum hier […]
[…] Hände hoch! Festival! […]
[…] ich als Musikdarbieter dahin passe. Ich fahre also in dreifacher Funktion: Gast, DJ und – wie versprochen – als […]
[…] weil ein Festivalevent Teil eines Konsumkreislaufes ist? Ich verweise zur Vertiefung auf meinen Blogrebellen-Beitrag vom letzten […]
[…] hey, selbst auf dem Hurricane schien offenbar lang genug die Sonne, um die obligatorischen „Schöne Menschen im sanften Gegenlicht„-Bilder zu […]
[…] scheinen einen Nerv zu treffen. Auffällig wurde das schon im letzten Jahr mit irgendwelchen Seifenblasen-Open Airs. Versprochen wird vermeintliche Exklusivität. In jeder mittelgroßen Stadt derselbe Promotext, […]
[…] ein bisschen, dass keine Bilder von einem Holi-Festival im Video sind. So ganz ohne Partybilder mit verträumten Elfen im sanften Gegenlicht werden doch wir coolen Kids gar nicht richtig angesprochen, […]
[…] weil ein Festivalevent Teil eines Konsumkreislaufes ist? Ich verweise zur Vertiefung auf meinen Blogrebellen-Beitrag vom letzten […]
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