Zwickau im Sommer 2004
Es ist Sonntag, und ich habe frei. Ich liege auf meinem Bett, die Glotze läuft. Meine gesamte Aufmerksamkeit richtet sich auf die Geschehnisse in der Lindenstraße. Mein Handy vibriert. Es ist mein Freund. Bei der Lindenstraße hat mich keiner zu stören, er sollte mich eigentlich besser kennen. Ich verdrehe die Augen und drücke ihn weg. Frechheit. Zugegeben, ich vermisse ihn auch ab und an, aber Lindenstraße ist Lindenstraße.
Hinterher stellt sich heraus, er wollte nur mal hören, wie’s so geht. Na, umso besser, dass ich nicht rangegangen bin. Wie er mir so erzählt, was er so ganz allein in Regensburg treibt, klingelt auf einmal das Zimmertelefon – ich vertröste meinen Freund auf den nächsten Tag, beende das Handygespräch und nehme das andere Gespräch an.
Es ist Miguel Angel, einer der Vorgesetzten meiner Auftraggeberfirma, der zusammen mit dem Projektleiter Juan über’s Wochenende da ist, um mal nach dem Rechten zu sehen. Freitag und Samstag hatte ich ihn im Werk kennengelernt, ansonsten aber nicht viel mit ihm zutun gehabt. Irgendwie hatte ich ihn als äußerst schmierig empfunden. Kein komplettes Arschloch, aber eben auch niemand, mit dem ich meine Freizeit freiwillig verbringen würde (das war bei Juan z.B. ganz anders, der war eine absolut coole Sau). Miguel Angel fragte, ob ich mal auf sein Zimmer kommen könnte, er hätte da ein Problem. Da mir eh langweilig war (Lindenstraße war ja nu vorbei), ging ich hin, auch wenn es aus heutiger Sicht schon arg seltsam anmutet. Aber ich war ziemlich naiv damals, obwohl ich gerade 30 geworden war.
Ich schlurfe den Gang entlang und mein Blick fällt auf diesen unfassbar hässlichen Teppich, der selbstverständlich auch die Zimmer des Hotels schmückte. Ich habe damals 13 Monate in diesem Hotel zugebracht und lange Zeit dachte ich „Dieses Teppichmuster wird dich in deinen Träumen verfolgen!“ Als ich sieben Jahre später noch einmal das Vergnügen hatte, eine Nacht dort zu verbringen, hatten sie die gesamte Einrichtung, einschließlich Bodenbelägen, komplett ausgetauscht.
Ich klopfe an die Tür mit der Nummer 312 und Miguel Angel öffnet mir. Er fällt dann direkt mit der Tür ins Haus: er wolle sich „den einen“ Pay-TV-Sender freischalten, käme aber mit den telefonischen Anweisungen (auf Englisch oder Französisch) nicht klar, ob ich das nicht eben für ihn machen könne. Mir ist das total peinlich, aber ich will mir nichts anmerken lassen. Wie gesagt, es gab und gibt Leute, die mich ohne zu zögern als naiv bezeichnen würden, und so ganz kann ich das auch nicht abstreiten, obwohl ich den Begriff „unbedarft“ passender finde.
Auf dem Fernsehbildschirm sieht und hört man rauschenden Schnee. Ich nehme den Hörer des Zimmertelefons und wähle irgendeine Zahlenkombination mit der #-Taste (damals hieß das noch „Raute“ und nicht „Hashtag“) und folge den Anweisungen der englischen Maschinenstimme. Ich komme mir seltsam vor, sprichwörtlich wie im falschen Film. Das Verfahren ist komplizierter und dauert länger als man annehmen möchte, und ich versuche, an etwas belangloses zu denken. Mein Herz klopft schnell, die ganze Situation ist mir furchtbar unangenehm, und ich habe das Gefühl, ich müsste knallrot im Gesicht sein, so warm ist mir. Und als ich mich gerade frage, ob ich für so einen Scheiß eigentlich bezahlt werde, ist der Sender auf einmal freigeschaltet und mir eröffnet sich eine Closeup-Szene eines klassischen Blowjobs. Riesengroß. Volle Lautstärke. Dann der Cumshot in das Gesicht der Darstellerin.
Gefühlte 0,5 Sekunden später bin ich raus aus dem Zimmer und renne den Gang entlang zum Fahrstuhl. Ich habe das Gefühl, verfolgt zu werden, sehe mich mehrmals um und renne auch dann weiter, als ich ein Stockwerk weiter oben aus dem Fahrstuhl trete. Ich bleibe erst stehen, als ich vor meinem Zimmer ankomme, und mein Herzschlag beruhigt sich. So langsam dämmert mir auch, was das war. Eine der widerlichsten, dämlichsten und unoriginellsten Anmachen der Welt. Wenn es ihm nur um den Porno gegangen wär, hätte er Juan fragen können, der als Projektleiter Deutsch und Englisch spricht.
Falls Ihr Euch fragt, was ich unternommen habe in dieser Situation – ich habe ihn beim Projektleiter verpetzt und ihn danach gemieden wie die Pest. Ich glaube, er hat sich eine Riesenszene, wenn nicht sogar eine Abmahnung eingehandelt und sich nebenbei zum Gespött der Firma gemacht – einige Wochen später wurde das Team ausgetauscht und die Neuen, die kamen, kannten die Story bereits und amüsierten sich königlich.
Jahre später bekam ich mit (in dieser Branche trifft man oft Leute, die jemanden kennen, mit dem man selber schon zutun hatte), dass damals sogar seine Frau davon Wind bekommen hatte und er mittlerweile von ihr geschieden ist. Scheinbar war ich nicht die einzige Dolmetscherin, die er so „charmant“ umgarnt hat – und irgendwann geriet er dann doch mal an eine, die untervögelt genug war, mit ihm ins Bett ging und schwanger wurde (true story), was wiederum seine Olle mitkriegte. And the rest is history.
Ich möchte mich auf diesem Weg dann nochmal ganz lieb beim Universum bedanken. Gut, dass man sich auf Dich verlassen kann!
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