Roskilde 2015 – Tue Gutes, und tanze dabei

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Eigentlich bin ich ein Festival-Snob. Ich zelte nicht, sondern ziehe eine Zimmerkarte dem Reißverschluss einer dampfenden Wiesen-Sauna vor. Ich stehe nur äußerst ungern inmitten von tausenden Menschen, die ihre verschwitzten, dekorierten, sonnenverbrannten und mehr oder minder koordinierten Extremitäten rhythmisch zu irgendwas bewegen und mir dabei meine Komfortzone ruinieren. Man sagte mir im Vorfeld, dass auf dem Roskilde alles anders sein würde. Natürlich habe ich es nicht geglaubt.

Hallo, Roskilde. Kann losgehen. #rf15

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Seien wir doch mal ehrlich: Das Gesetz der Masse kann auch vor Dänen, die allgemein als super Menschen anerkannt sind, nicht halt machen. Wenn 100.000 Menschen mehrere Tage lang mehr als 16 Stunden auf den Beinen sind, trinken, tanzen, feiern, dann ist es statistisch unmöglich, dass der beschworene „Roskilde Spirit“, bestehend aus Respekt, Achtung und Höflichkeit, überlebt.

Security Guard: „Come over here, that’s the wrong line you’re standing in.“

Ich: „Oh, okay. I’m sorry.“

Security Guard: „No! Don’t be sorry! Be happy! Have a nice festival.“

(Umarmung, Schulterklopfen, Protagonist geht ab)

Ja, das ist ein Frettchen am Stock. #rf15

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Machen wir es kurz: Ich lag falsch. Was auch immer die Organisatoren ihren Besuchern ins kostenlos verteilte Trinkwasser gepackt haben, es wirkte. Zwischen den fünf Bühnen, die sich auf dem riesigen Gelände verteilen, findet ein viertägiges Sozialexperiment statt, in dem die Teilnehmer scheinbar mühelos eine bessere Festivalwelt errichten. Niemand drängelt, niemand kotzt, niemand prügelt sich. Sie teilen sich Wasser, Sonnencreme, Campingstühle. That’s the spirit! Sie errichten nicht nur Igluzelte, sondern ganze Zeltstädte, in denen sie vier Tage lang alles besser machen, was ihnen außerhalb von Roskilde vielleicht nicht so gelingen mag. Sie pinkeln nicht einfach so irgendwo hin, sondern in die aufgestellten Sammelbecken, aus dessen Inhalt der Hopfen für das Roskilde-Bier 2017 gedüngt werden soll. Und alle lachen. Wirklich alle.

Inmitten dieser ungezwungen fröhlichen Hippie-Coolness fällt es kaum auf, dass hier ein unglaubliches Monster von Festival organisiert und durchgeführt wird. 166 Bands spielen auf acht Bühnen alles, was deine Spotify Playlist sich nicht alleine ausdenken kann. Eine Auswahl.

Pharrell Williams
Hat genug Hits unterm Gürtel, um einen Top 30-Radiosender allein mit seinen Produktionen zu bestücken, tanzt mit Frauen im Bademantel und sorgt mit dem notorischen „Happy“ für den ersten Endorphin-Orgasmus des Festivals.

Muse
Die Großabnehmer zeitgenössischer Visualkunst ballern ihre Songs mit einer Vehemenz unter die 60.000 Zuschauer, die mit dem Begriff „Fön“ nur unzulänglich beschrieben werden kann.

Die Antwoord
Sind und bleiben die Posterboys der weltweiten ADHS-Intelligenzia, schaffen es aber mit ihrem atemlosen Stakkatobums die Hauptbühne in einen moshenden Kessel Buntes zu verwandeln.

The Gaslamp Killer Experience
Tanzt, zusammen mit den Heliocentrics, wie der letzte Schamane über die Avalon-Bühne und schwärmt in seinen Zwischenmoderationen vom äthiopischen Liedgut, als „the best fucking music in the world.“

Kendrick Lamar
Scheiße, ist der Mann gut! Scheiße, ist der Mann gut! Scheiße, ist der Mann gut!

Einstürzende Neubauten
Singen immer noch Songs über Wilmersdorf und den Savignyplatz, machen immer noch wohltuenden Krach und sind immer noch Ikonen. Punkt.

Nils Frahm
Wirbelt in seinem Maschinenpark umher, oszilliert sich und das Publikum um den Verstand und ist vermutlich das niedlichste Wunderkind unserer Zeit.

Paul McCartney

Feuer! #rf15

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Roskilde: Non-Profit since 1972.

Und jetzt kommt’s: Außer den Künstlern verdient an diesem Spektakel tatsächlich niemand etwas. Alle Einnahmen des Festivals – I repeat: Alle Einnahmen – werden karitativen Zwecken zugeführt. So hat das Roskilde beispielsweise letztes Jahr schlanke 40.000 Euro an den Deutschen Flüchtlingsrat gespendet. Einfach so. In diesem Jahr rechnen die Veranstalter mit einem Gewinn von ca. 15-18 Millionen Kronen. Das sind ca. 2,5 Millionen Euro, die laut Statuten innerhalb eines Jahres an den Mann gebracht werden müssen.

Fazit: Mein Ironie-Zentrum hat tagelang versucht, den Geist des Roskilde zu dekonstruieren, etwas zu finden an dem es nagen und nörgeln kann. Es ist ihm nicht gelungen. Und übrigens: Drei Nächte in einem Zelt sind halt auch nicht der Weltuntergang, selbst für einen Festival-Snob wie mich.