Es ist Dienstagabend, ich habe einen Mordshunger und werde etwas schlecht gelaunt, da die beiden Werkzeugmacher aus dem Baskenland sich nicht entscheiden können, wo sie essen wollen. Also schlage ich einen Italiener vor, den ich noch von früher kenne – wir haben hier in Regensburg (dort lebte ich in den Jahren von 2000 – 2005) bei BMW zu tun -, und der sich in der wunderschönen Altstadt in einem klitzekleinen Gässchen befindet.
Zur Information: ich bin keineswegs verpflichtet, die Jungs beim Abendessen zu begleiten, wenn sie jedoch ganz nett sind, wieso nicht? Essen muss ich schließlich auch was, und in Gesellschaft ist das – fast immer – netter. Wenn sie mir aber so dumm kommen, wie die beiden vorhin – sie hielten die Tatsache, dass ich zum Essen mitkomme, für selbstverständlich, obwohl es sich dabei um meine freie Zeit handelt, für die ich nicht bezahlt werde -, kostet es mich extreme Überwindung, mitzugehen. Aber, weil ich eben kein Arsch bin, mache ich gute Miene zum bösen Spiel und komme mit.
Ich finde den Italiener auf Anhieb, David und Fausto hasten mir hinterher. Wenn ich hungrig bin, muss es schnell gehen.
Beim Reingehen sagt der eine noch: „Gut, dass du da bist, in diesen kleinen Gässchen verläuft man sich ja! Da finden wir alleine gar nicht mehr raus!“ Er lacht. Das Lachen wird ihm noch vergehen, aber das weiß er noch nicht.
Wir setzen uns an einen Vierer-Tisch und die Bedienung bringt die Speisekarten. Die sind auf Deutsch und Englisch, da sie bei Reingehen mitbekommen hat, dass wir Spanisch sprechen. Da die beiden aber augenscheinlich noch niemals ihr Heimatdorf verlassen haben (diese Annahme beruht auf mehreren, thematisch kulturell-sozial gefärbten Gesprächen, in denen es zu keiner nennenswerten Horizonterweiterung der beiden kam), muss ich die Karte so oder so übersetzen.
Fünf Minuten später haben wir alle eine Wahl getroffen, mit der wir leben können, und die Bedienung zieht sich Notizen machend in die Küche zurück. Ich denke daran, dass erst Dienstag ist, und dass ich keinen Bock auf schlechte Laune für den Rest der Woche habe und gehe in den Schauspielmodus. Ich heuchele Interesse und versuche, mich an dem Gespräch der beiden zu beteiligen – nachdem sie es allem Anschein nach nicht für nötig (oder zumindest für höflich) halten, mich mit einzubeziehen. Es geht irgendwie um Fußball, also frage ich nach der Mannschaft, von der sie konkret sprechen.
Ich unterdrücke ein Gähnen und klatsche innerlich in die Hände, als die Bedienung 15 Minuten später als erstes meinen Teller bringt. Ich stürze mich begierig auf die Gnocchi mit Salbeibutter.
Noch während des Serviervorgangs haben David und Fausto das Thema gewechselt. Es geht jetzt um Politik und ich gewinne den mentalen eyeroll-contest mit mir selber. Lokalpolitik. Ich stelle auf Durchzug und versuche, dem schon anklingenden Anti-Einwanderer-Hass keinen Raum zu geben. Ich bin das gewöhnt. Seit vierzehn Jahren mache ich den Job jetzt, und auch wenn das nicht für alle gilt, diese Art von verbal geäußertem Fremdenhass ist bei sehr vielen Spaniern (Verzeihung, Basken) weit verbreitet und fest verankert. Ich habe mir den Mund fusselig gequatscht, in dem naiven Versuch, ihnen begreiflich zu machen, dass man nicht alles und jeden über einen Kamm scheren darf.
Keine Chance. Also Durchzugmodus.
Als ich gerade daran denke, wie lecker Salbei ist (mal so ganz allgemein), kriege ich mit, wie sie es auf einmal von Palästina haben. „Oho, jetzt bin ich gespannt!“ denke ich noch und höre wie sie ganz klar pro-palästinensisch Position beziehen. So weit, so gut, dagegen kann man nichts sagen. Ich denke, kein Mensch mit Herz auf dieser Welt heißt gut, was dort passiert.
Doch dann sagt Fausto einen Satz, der sich in mein Hirn gebrannt hat, den ich leider nie vergessen werde, weil er mich so fassungslos gemacht hat: „Adolf Hitler tuvo la idea correcta, le debieron de dejar terminar lo que empezó, entonces no tendríamos hoy este problema con estos putos judíos.“ Zu deutsch: „Der Hitler damals, der war schon auf dem richtigen Weg, den hätten sie einfach mal machen lassen sollen, dann hätten wir heut nicht dieses Problem mit diesen scheiß Juden.“
Mir fällt die Gabel hörbar auf meinen mittlerweile halbleeren Teller. Ich starre Fausto an, mir wird heiß und mein Herz klopft, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. „Meinst du das ernst?!“ frage ich ihn ungläubig. „Por supuesto!“ („Selbstverständlich!“) entrüstet er sich. Ich nehme all meine Contenance zusammen und bitte ihn, solche Kommentare zu unterlassen, da ich selbst Menschen kenne, deren Familien damals Schlimmes erlebt und Menschen verloren haben, und weil sowas einfach beleidigend und scheiße ist.
Aber anstatt seine Fresse zu halten, setzt dieser miese Pisser mit seinem ungebildeten Schandmaul noch einen drauf und haut raus: „No, no, no, a Hitler, le debieron de poner un monumento!“ Übersetzung: „Nix da, dem Hitler hätten sie ein Denkmal setzen müssen!“
Und dann passiert etwas, was noch nie vorher in meiner beruflichen Laufbahn passiert ist: mir reißt der Geduldsfaden. Ich stehe vom Tisch auf, sage wahrheitsgemäß, dass mir der Appetit vergangen ist, nehme meine Jacke und meine Handtasche und gehe ohne einen weiteren Kommentar.
Die Bedienung sieht mir an, dass ich den Tränen nah bin (wenn ich wütend bin, kommt das schon mal vor) und fragt, ob alles okay sei. Mit Blick auf den stiernackigen, kräftig aussehenden Koch überlege ich kurz, den Wichser zu verpfeifen (die hätten den unangespitzt in den Boden gerammt, soviel steht fest), sage dann aber: „Lassen Sie mal, es lag nicht an Ihrem Essen“ und verlasse das Lokal.
Sollen sie sehen, wie sie ohne Englisch und ohne Ortskenntnisse ins Hotel zurückfinden.
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[…] der Palästina-Israel-Thematik tatsächich genauso uninformiert, wie es Gespräche, bzw. Erlebnisse mit einzelnen Individuen der spanischen Bevölkerung vermuten […]
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