Burning Man 2015: Ein Berliner DJ suhlt sich im Sand

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Das Burning Man Festival ist ein Mythos: Einerseits hört man -insb. im boulevardesquen Kontext: Überall Nackte, die mit EDM-Gewummere dauer-stoned eine verruchte Hippie-Party für Reiche feiern. Andererseits sprechen Besucher von einer „life changing experience“, erzählen mit glasigen Augen von einer gesellschaftlichen und ökologischen Utopie. Wer die virtuelle Stadt Black Rock City in der Wüste von Nevada bevölkert, wird Teil einer außergewöhnlichen und vielfältigen Kreativ-Community auf Zeit – bevor sich die ganze Stadt wieder in Luft auflöst, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Ich bin hingefahren, um dem Mythos auf den Grund zu gehen.

Vor dem Vergnügen kommt die Arbeit

16 Stunden Flug nach Reno über Madrid und Chicago. Im Hotel stelle ich dann fest, dass mein Kofferschloss durch die TSA (Transportsicherheitsbehörde der USA) zerstört wurde, obwohl es TSA-zertifiziert ist und die Damen und Herren daher einen Generalschlüssel haben. Nach einer Not-Operation mit Hilfe von Messer und Gabel erklärt mir ein im Koffer liegender Zettel der Behörde ihr aufrichtiges Bedauern und dass sie natürlich für keinerlei Schäden haftet.

Gezielte Kontrolle oder zufällige Stichprobe? Ich habe keine Ahnung. Es wird immer wieder diskutiert, in wieweit die USA durch die restriktive Visumsvergabe gegenüber Künstlern auch den internationalen DJ-Circuit beeinflussen. Um ein Künstlervisum zu erhalten, sei es hilfreich, eine Bekanntheit ungefähr auf dem Level von Madonna zu haben, selbst wenn man ohne Gage spielt, wie auf dem Burning Man üblich. Facebook-Chats seien durch die NSA ausgewertet und Künstlerwebsites gescannt worden. Ich kann das alles nicht beurteilen, sondern bin einfach froh, die Kommunikation im Vorfeld des Festivals end-to-end-verschlüsselt abgewickelt zu haben und meine Controller nicht aus Berlin mitgebracht zu haben.

Großeinkauf bei Walmart
Großeinkauf bei Walmart

Nächster Tag: Großeinkauf bei Walmart mit meinem DJ-Kollegen Adam von den Gentlemen Callers of L.A., der mich die nächste Woche über begleiten wird und bereits 15 mal beim Burning Man war. Da es auf dem Festival keine Verkaufsstände gibt, bringt man alles selber mit, vom Wasser (wichtig!) bis zur Verpflegung für sich und andere. Wenn man wie wir nicht mit einem Wohnmobil anreist, benötigt man natürlich das komplette Camping-Equipment, außerdem empfiehlt es sich, einen Pavillon über das Zelt zu stellen, damit man nicht schon morgens im Zelt durch die sengende Sonne gegrillt wird und jederzeit einen schattigen Platz zum Sitzen hat.

Black Rock City

Nach ca. 2 Stunden auf der Straße durch die Wüste erreichen wir Black Rock City. Bereits am Ticket-Counter wird man überaus freundlich und mit Handschlag begrüßt, dann landet man nach einigen hundert Metern bei der „Greeting Station“. Die Aufgabe -nein, Berufung- der dort auf einen wartenden „Greeters“: die Neuankömmlinge zu begrüßen. Wo man bei anderen Festivals allenfalls ein gelangweiltes bis genervtes „Hi“ erntet, kann man sich hier vor innigen Umarmungen und begeisterten „Welcome home!“-Rufen diverser bislang wildfremder Menschen nicht mehr retten. Klingt absurd, aber es ist unübersehbar, dass diese Leute mit ihren wilden Irokesenschnitten und Steampunk-Klamotten einen nicht grüßen, weil das nun mal ihr Job ist, sondern weil sie sich einen Keks freuen, dass man da ist, und sich keinen besseren Ort und keine bessere Zeit vorstellen könnten, einem zu begegnen. Man merkt sofort: Hier weht ein anderer Wind als in der „default world“, wie Eingeweihte alles außerhalb von Black Rock City nennen.

Traditioneller Initiationsritus
Traditioneller Initiationsritus

Schnell findet das Begrüßungskomitee heraus, dass dies mein erster Burning Man ist, und so wird mir nahegelegt, mich dem traditionellen Initiationsritus zu unterziehen: Beidseitig im Staub wälzen und danach mit lauten „I’m not a virgin anymore!“-Rufen eine Glocke läuten. Nun ja, zwei Stunden später wäre ich ohnehin komplett staubig gewesen, also werfe ich mich zu Boden: meine erste Berührung mit der Playa.

Die Playa, also der Boden des ehemaligen Salzsees, hat zwar eine sehr feste Grundlage, auf dieser liegen aber einige Zentimeter feinsten Staubes, die schon bei leichtem Wind herumwirbeln und jeden „Burner“ innerhalb kürzester Zeit wie eine skurrile Mumie aussehen lassen. Jede Pore, jedes Haar und jede Ritze wird durch den Staub in Beschlag genommen. Während der teilweise mehrmals täglich auftretenden sog. Whiteouts führt der Sandsturm dazu, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sieht – dann bleibt man am besten stehen, wo man ist, und wartet ab, bis sich der Sand gelegt hat und man die schicke Schutzbrille-Atemmaske-Kombi wieder absetzen kann.

Schutzbrille-Atemmaske-Kombi
Schutzbrille-Atemmaske-Kombi

10 Principles of Burning Man

Hat man sein Zelt aufgeschlagen, gibt man sich tunlichst dem verrückten Geschehen hin und lässt sich ziellos über die Playa treiben, ohne zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein zu müssen. Man hat eine Welt betreten, in der es völlig normal ist, dass ein 10 Meter großer, grell beleuchteter Fisch an einem vorbeifährt (im Minutentakt gefolgt von anderen, ähnlich skurril-psychodelischen Gefährten), während man seine Beine von einem überdimensional großen Schaukelstuhl baumeln lässt und eine Bloody Mary trinkt, die von einem nahegelegenen Zelt aus allen Passanten kostenlos angeboten wird. Eine Welt, in der das Zusammenleben durch die „10 Principles of Burning Man“ bestimmt wird. Diese beinhalten u.a. „radical self-expression“, „gifting“, „radical inclusion“, „participation“ und „leaving no trace“: Jeder soll am Burning Man teilnehmen können, sich dort verwirklichen und darstellen können, wie er möchte, den anderen absolut ohne Vorurteile begegnen, sich in die Gemeinschaft einbringen und den anderen Burnern etwas schenken, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Bei alldem soll er schlussendlich keine bleibende Spur in der Wüste hinterlassen.

Das liest sich wie die mit kreisender Bong ausformulierte Hausordnung einer Hippie-Kommune, aber: Es funktioniert verblüffend gut.

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Die Wüste wird zur Projektionsfläche

Ich war noch nie an einem Ort, wo jeder dem anderen so offen, tolerant, vorurteilsfrei und hilfsbereit begegnet wie in der improvisierten Wüstenstadt. Ganz gleich, ob das Gegenüber als grellbuntes Fabelwesen, steampunkiger Wüstenkrieger, mit pinkem Balletkleidchen oder splitterfasernackt herumläuft. Es spielt einfach keine Rolle, und keiner muss sich dafür schämen, was oder wer er schon immer mal für eine Woche sein wollte. Es gibt zig Party-Orte, hunderte Kunstprojekte und vermutlich tausende Veranstaltungen, die von den rund 70.000 Burnern geschaffen, ausgestaltet und bevölkert werden. Die Wüste wird zur Projektionsfläche für alle erdenklichen Formen von Kunst – eine Ansammlung von Kreativität, die ihre geballte Kraft insb. nachts entfaltet, wenn die einzigartigen Bauwerke, grotesken Kunstinstallationen, Mad Max-inspirierten Fahrzeuge und postapokalyptischen Kostüme in schillernden Farben leuchten und zu einer maximal psychodelischen Kulisse verschmelzen. Ganz besonders auf Pilzen. Aber auch ohne.

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Erstaunlich: Während z.B. beim Glastonbury Festival der Zuschauerraum vor den großen Bühnen in jeder Nacht einem Schlachtfeld aus Müll gleicht (obwohl es Tausende Mülleimer gibt), jagen in Black Rock City innerhalb von Sekunden mehrere Leute dem kleinsten Papierfetzchen hinterher, was einsam über die Playa weht. Dabei gibt es hier keine einzige Mülltonne, und man nimmt seinen kompletten Abfall nach dem Spektakel wieder zurück in die Zivilisation.

Temple Burn
Temple Burn

Temple Burn- Gedenken an Verstorbene

Aber beim Burning Man geht es nicht ausschließlich um Selbstverwirklichung, Party und Friedefreudeeierkuchen: Der jedes Jahr in anderer Form auf der Playa errichtete Tempel bietet den Teilnehmern einen Platz, an dem sie ihrer verstorbenen Angehörigen und Freunde gedenken können. Bereits nach wenigen Tagen sind die Wände des Tempels gepflastert mit Fotos und die Wände von oben bis unten mit Inschriften versehen. Die nur von gelegentlichem Weinen trauernder Besucher durchdrungene Stille im Tempel jagt einem einen Schauer den Buckel runter. Hier wurde ein spiritueller Ort geschaffen, von dem ich mich erst erholen musste, bevor ich wieder in die Party außerhalb des Tempels eintreten konnte. Ebenso wie der „Man“, die ca. 20m große Statue in der Mitte der Playa, die dem Festival den Namen gibt, wird auch der Tempel am Ende der Woche verbrannt. Während das Abbrennen der Holzfigur allerdings mit einer bombastischen Show inkl. Hunderten von Tänzern, einem riesigen Feuerwerk und anderem Tamtam inszeniert wird, herrscht beim „Temple Burn“ andächtige Stille. Wäre der Untergrund nicht aus Sand, hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Party mit „Positiv-Bekloppten“

Mein spezielles Augenmerk galt jedoch -selbstverständlich rein beruflich- den Partys. Neben zahlreichen fest installierten Bühnen fahren nachts unzählige Art Cars, teilweise mit wirklich eindrucksvollen Sound Systems bestückt, in die sogenannte „Deep Playa“ hinaus, also in den Teil des Geländes weit abseits der Camps.

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Ich selbst hatte fünf DJ-Gigs im Kalender stehen. Während die Musik ansonsten stark Deep House- und EDM-dominiert war, vertrat ich mit einigen Kollegen die Electro Swing-Fraktion. Diese Abwechslung wurde vom Publikum auch sehr dankbar angenommen. Das Tolle beim Burning Man ist, dass im Grunde ausschließlich Positiv-Bekloppte die Dancefloors bevölkern, so dass man nicht lange kurbeln muss, um für ausgelassene Stimmung zu sorgen. Und nirgendwo sonst hat man von der DJ-Kanzel so ein fantastisches Panorama wie in Black Rock City.

Noch Wochen später rieselt noch Sand aus dem Equipment
Noch Wochen später rieselt noch Sand aus dem Equipment

Party hard, auch für das Equipment

Als einziger Haken machte sich allerdings zuweilen das Wetter bemerkbar: Von den starken Temperaturschwankungen abgesehen (von knapp 40 Grad tagsüber bis unter 0 Grad nachts) abgesehen, kommt und geht der Wind, wie er will, so dass man auch beim Auflegen gelegentlich innerhalb von Sekunden die Tanzfläche nicht mehr sieht und die Knöpfe auf den Controllern im Blindflug ertasten muss. Generell sollte man dafür sorgen, dass das Equipment so gut wie möglich geschützt ist: Außerhalb der Partys bewahrte ich alle Geräte in Plastiktüten verpackt im Trolley auf, während der Gigs halfen eine Gummi-Tastaturauflage, ein Plastik-Hardcase und div. Stöpsel für die nicht benutzten Anschlüsse dabei, zumindest das MacBook halbwegs vom Sand abzuschirmen. Kaputtgegangen ist nichts, aber auch sechs Wochen nach meiner Rückkehr rieselt noch Sand aus dem Rechner, wenn man ihn schüttelt.

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Erleben und wahrnehmen statt Internet und Social Media

Sehr positiv fiel mir auf, wie wenig die Burner mit ihren Smartphones rumfuchteln und bei den Partys fotografieren. Das liegt einerseits sicher daran, dass es auf dem ganzen Gelände weder Mobilfunkempfang noch Internet gibt und man sich auch selber um die Stromversorgung kümmern muss. Andererseits wirkte es auf mich, als wollten die Teilnehmer die Situationen auf dem Festival wirklich erleben und bewusst wahrnehmen anstatt sie verwackelt zu filmen und sogleich in drölfzig soziale Netzwerke hochzuladen. An kaum einem anderen Ort gäbe es so viele geeignete Motive wie beim Burning Man, trotzdem hatte ich manchmal fast schon ein schlechtes Gewissen, mein Handy -als einziger- für ein Foto zu zücken.

Es bleibt festzuhalten: Die Offline-Woche in der Wüste hat mir gutgetan. Die alternative Gesellschaftsform dieser ungewöhnlichen und vielfältigen Community auf Zeit bringt einen zum Nachdenken und Reflektieren. Der faszinierend homogene Mix aus durchgeknallten Kunstprojekten, eindrucksvollen Bauwerken und faszinierend vorurteilsfreien -grotesk kostümierten- Menschen lässt einen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Und aus der DJ-Perspektive bietet der Burning Man die perfekte Kulisse für die abgefahrenste Party des Jahres.

Black Rock City ist ein Ort, der entsteht, um im Nichts zu verschwinden. Und im nächsten Jahr wieder neu durch die Teilnehmer erschaffen zu werden. Ich wäre gerne wieder ein kleiner Teil davon.

Alle Fotos von Wolfram von Dobschütz

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