Schwarzer Freitag

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Die Schüsse sind noch kaum verhallt, aber ihr Echo wird uns wohl noch lange verfolgen. Die Anschläge von Paris führen uns die Fragilität unserer Lebensweise vor Augen und lassen uns in einer deprimierenden Realität zurück. Vom Versuch einer Einordnung.

Das Grauen begann mit einer guten Nachricht „Mir geht´s gut. I´m safe.“ stand da auf meiner Timeline und in diesem Moment wusste ich, dass es für diese gute Nachricht einen furchtbaren Grund geben musste. Die Terrorattacke von Paris trifft viele Menschen bis ins Mark und holt die Konflikte der Welt einmal mehr in die eigenen vier Wände.

Die Opfer? Für die Terroristen nur eine graue Maße austauschbarer Schuldiger

Die bittere Realität ist, dass es eine Kontinuität des internationalen Terrorismus gibt, der sich auf den IS bezieht und mit voller Härte „weiche“ Ziele angreift. Fußballfans, Ägypten-Urlauber, Supermarktkunden, Zeichner, Rockfans, Nachtschwärmer. Die Angreifer suchen sich Symbole der verteufelten freiheitlichen Lebensart und treffen deswegen vor allem Menschen, die ein ähnliches Leben führen, bis ins Mark. Man kann es zu Recht beklagenswert und bitter finden, dass es z.B. bei den Anschlägen in Beirut mit einer vergleichbaren Opferzahl kaum öffentliche Empörung gab, aber es scheint eine menschliche Grundregel zu sein, dass man sich zu dem Leben der direkten Nachbarn eher in Verbindung setzen kann. In der Logik der Terroristen gibt es jedoch keine Individuen voller Ambivalenzen oder Unterschiede mehr, sondern nur noch eine graue Masse „Schuldiger“, die völlig anonymisiert niedergemäht wird. Jedes Subjekt wird in dieser brutalen Logik zum Objekt und damit zum Abschuss freigegeben. Es scheint so, als ob nur mit Hilfe dieser Entpersonifizierung und einer gewaltigen Todessehnsucht, möglich ist, solch monströse Taten für sich zu rechtfertigen. In den Augen der Täter scheinen die Opfer von Paris, Beirut oder dem Sinai, in der alles mit allem zu tun hat, kollektiv schuldig zu sein.

Eine Art Terror-Franchise

So wichtig es sein mag, kriminalistisch zu ermitteln, wer die Attentate befohlen hat, so irrelevant für die öffentliche Wirkung ist es, ob die Kommandostruktur des IS federführend bei der Durchführung war. Dieser hatte sich seinerseits zum Anschlag bekannt, ohne jedoch Täterwissen freizugeben. Längst hat sich ein perfides, globales Kommunikationsspielchen entwickelt, bei dem der IS auf Terrorfeldzüge aufspringt und sich zu Anschlägen bekennt und dadurch die globale Marke IS stärkt. IS-Ableger in Libyen, auf dem Sinai, auf den Philippinen, in Tunesien oder wie jetzt mutmaßlich in Paris können sich in Echtzeit und mit Hilfe sozialer Medien zueinander in Verbindung setzen-und das mit maximaler Wirkung. Das Label IS wird von Feinden und Anhängern des IS gleichermaßen verwendet, um dem Schrecken einen Namen und einen Kontext zu geben. Man kann sich, die auf fürchterliche Weise professionellen Kommunikationsstrategen des IS förmlich dabei vorstellen, wie sie sich in diesen Stunden ins Fäustchen lachen. Sie wissen, dass ihre Botschaft in den Köpfen und Herzen der Menschen ankommt. Es ist, nach den Anschlägen, der zweite Sieg der Terroristen über ihre Feindbilder und könnte sich für sie trotzdem als Pyrrhussieg herausstellen.

Von kommenden Tagen

Was also tun? Innenpolitisch hat Präsident Hollande bereits angekündigt, dass „alle Maßnahmen getroffen wurden, um unsere Mitbürger und unser Staatsgebiet zu schützen“. In der Umsetzung bedeutet das verdachtsunabhängige Kontrollen, geschlossene Grenzen und erhöhte Militär- und Polizeipräsenz. Wer schon einmal auf einem französischen Bahnhof umgestiegen ist, weiß allerdings, dass vieles davon längst Realität ist und die Anschläge nicht verhindert hat. Auch die Vorratsdatenspeicherung hat in Frankreich weder die Anschläge von Januar noch die gestrigen verhindert. Ausgangssperren sind, wenn überhaupt, nur akut eine Option. Ganz zu schweigen davon, ob diese ganzen Maßnahmen mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Falls nicht, wäre es ein weiterer zweiter Sieg der Terroristen.

Der Blick in die Außenpolitik ist so absehbar, wie alarmierend. Frankreich ist im Gegensatz zu Deutschland viel aktiver im syrischen Konflikt. Seit Ende September fliegt die französische Luftwaffe Angriffe auf Stellungen des IS in Syrien und dem Irak und es braucht nicht allzuviel Fantasie, um sich auszumalen, was die nächste Eskalationsstufe sein könnte. Forderungen sich stärker in Syrien einzumischen werden seit gestern Abend ganz sicher nicht leiser werden. Mit völlig unberechenbaren, aber absehbaren Folgen. Hollande sieht die wiederholten Anschläge als „Kriegsakt, der von außen vorbereitet, organisiert und geplant wurde“, dieser Einschätzung dürften sich andere verbündete Staatschefs anschließen. Der Weg zum NATO-Bündnisfall, scheint kein weiter zu sein. In diesem Fall wären die anderen Verbündeten dazu verpflichtet, einzugreifen und an der Seite Frankreichs in den Krieg zu ziehen.

Die Frage ist nur: Gegen wen? Bei aller Erschütterung und dem tiefen Schock, der uns gerade trifft, sollten wir nicht vergessen, dass ein großer Teil der Toten im syrischen Bürgerkrieg auf das Konto der Assad-Regierung gehen. Die skrupellose Mörderbande des IS verheert ganze Landstriche und hat ein Terroregime etabliert, aber in Sachen Blutvergießen und zivilen Opfern steht das Regime Assad dem IS in nichts nach. Im Gegenteil. Der einzige und wohl wichtigste Unterschied ist jedoch, dass Assad in erster Linie der eigenen Bevölkerung, der FSA und dem IS den Krieg erklärt hat und keine global operierende Politik des Terrors verfolgt. Der IS hingegen hat tausendfach und mittlerweile wiederholt global restzivilisatorische Standards aufgekündigt. In Syrien gibt es also wahrlich nicht nur die Hydra IS, deren Kopf viele jetzt rollen sehen wollen.
Wer jetzt fordert in Syrien einzugreifen, muss daher damit rechnen eine andere Realität und andere Feindbilder vorzufinden als daheim.

„Ich bin wütend, weil diese Menschen sagen, der Islam braucht eine Reform“, ein Interview mit Hakan Tanriverdi

Tanzt euch das Trauma aus dem Leib!

Oberhalb aller politischen Überlegungen steht die Frage, was der Terror mit uns persönlich anstellt.
Besuchen wir in den nächsten Tagen und Wochen Konzerte? Trinken wir aus Trotz ein Bier mehr in unserer Lieblingsbar und bleiben ein Stünchen länger als sonst? Machen wir unsere Türen auf, wie es gestern Nacht, viele Pariser getan haben, um gestrandeten Touristen zu helfen(#porteouverte)? Stellen wir uns vor die Flüchtlinge, die jetzt mehr denn je unseren Schutz brauchen? Es ist der einzige Weg den Terror im Außen, nicht zum Terror im Innen werden zu lassen.

Dieser Artikel repräsentiert die Meinung der Blogrebellen und erschien im Namen von Julian, Niloufar, Peter, Walter, Frieder und Daniel.

Artikelfoto via Branko

16 Kommentare

  1. Zitat aus obigem Artikel: „Wer jetzt fordert in Syrien einzugreifen, muss daher damit rechnen eine andere Realität und andere Feindbilder vorzufinden als daheim.“

    Das Perfide, Grauenhafte und Widerwärtige ist, dass gerade in diesen Zeiten Unmengen von Syrern nach Europa – und vermehrt nach Deutschland – vor GENAU diesem Terror flüchten. Nicht, weil sie hier mehr Geld verdienen können oder gar ohne eigenes Zutun im Schlaraffenland leben wollen. Sie sind oftmals jung, gebildet, westlich orientiert, und flohen um ihr Leben zu retten. Nun hat sie der Terror wieder eingeholt.

    Wir überlassen unser Gästezimmer immer mal wieder kurzfristig und -zeitig Flüchtlingen ohne Obdach. Für eine Woche hatten wir einen jungen Syrer bei uns zu Gast (wir sind wohlgemerkt zwei Männer), er ist 23 und es war Sympathie auf den ersten Blick. Er spricht gut Englisch, was er über seine Flucht erzählt ist einfach nur erschütternd. Er ist einer der nettesten, hilfbereitesten, dankbarsten Menschen, die ich je traf. Die grauenhaften Erlebnisse auf der Flucht (mit 700 anderen auf einem kleinen Kahn mit einem zugedrogten Schleuser und kaputtem Motor, Folter an der llbyschen Grenze, Diebstähle, Hunger, ANGST ) haben ihn keinesfalls verbittert, er blickt hoffnungsfroh in die Zukunft. Er sagte, er hätte sich seit den vielen Monaten seiner Odyssee durch Europa noch nie so wohl, sicher und gutaufgehoben gefühlt wie in seiner ersten Nacht bei uns.

    Es war die reine Freude, ihn als Mitbewohner zu haben, nicht nur weil er ständig Hunger hatte und dankbar alles aß, was meine – ziemlich guten – Kochkünste hergaben. Am letzten Abend gab es dann die „deutsche Dröhnung“: Rinderrouladen, Klösse und Rotkohl. Er hat Unmengen vertilgt, mein mütterliches Herz platzte vor Stolz auf „unseren“ Alaa.

    Als Alaa uns vor ein paar Tagen verließ hatten wir Gastgeber Tränen in den Augen, schon bald wird er uns wieder besuchen und ich freue mich schon darauf, wieder riesige Berge für meinen neuen Lieblings-Esser zu kochen.

    Weshalb ich das alles schreibe: Wenn der IS nun eines seiner Ziele erreicht, dass man nämlich immer mehr Syrer und Terroristen gleich setzt, dass man Angst schürt, dass man ihnen das Leben hier und anderswo in Europa schwer macht, dann macht mich das krank vor Wut. Wenn durch die Anschläge von Paris die Hilfsbereitschaft in Deutschland – die übrigens riesengroß ist – zurückgeht wäre das sehr sehr traurig. Dann hätten sie gewonnen.

      • Danke Julian. Und bevor ich allzu traurig werde noch ganz kurz ein paar wichtige Punkte:

        Die Flüchtlinge, die uns erreichen, benötigen dringendst unsere Hilfe. Nicht nur heissen Tee und warme Socken vor dem Lageso, sondern auch einen Empfang mit offenen Armen, ein Ohr für ihre Sorgen, eine Schulter, an die sie sich lehnen können und die Bereitschaft, ihnen zuzuhören und ihnen die Zeit zu lassen, die sie benötigen, um sich hier zurecht zu finden. „Helfen“ kann stressig, nervig, anstrengend sein, und man wird sein normales Leben manchmal vermissen, aber „Helfen“ kann auch viel Spaß machen, und dabei geht es NICHT darum, ob und wieviel man zurückbekommt. Ich kann nur an jeden Menschen appellieren zu überlegen, inwieweit er in der Lage ist den neuen Mitbürgern zur Seite stehen zu können. Der Staat tut sein Möglichstes (?), ist aber komplett überfordert und ohne die Menschlichkeit der Bürger wären diese unsere neuen Mitbürger oftmals komplett auf sich alleine gestellt.

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