Poesie des Widerstands – Proteste gegen den Klimagipfel in Paris

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Manchmal sprechen kurze Szenen in Filmen für den ganzen Film. Ein Teil der Kunst des Filmemachen ist es, Geschichten zu verdichten, Schlüsselszenen aufzubauen und das Ganze in einer filmpoetischen Bildsprache umzusetzen. Doch nicht nur bei fiktiven Geschichten, sondern auch in Dokumentationen ist die Bildsprache ein wichtiges Element. Über den reinen Informationsgehalt hinaus stehen gute Dokumentationen auch dafür, die Momente aufzunehmen, die essentiell für den persönlichen Werdegang ihrer Akteure sind.

Ein schaurig-schönes Beispiel für die dokumentarische Bildpoesie ist die zwanzig-minütige Dokumentation des Polizeieinsatzes gegen Klimaschutz-Aktivisten am 03.Dezember in Paris. Es sind krasse Bilder, die dem Zuseher zugemutet werden.


Die Staatsmacht

Mitten in Europa prügeln behelmte Robocops auf friedliche Demonstranten ein und verhaften Dutzende. Nach den Anschlägen wurden öffentliche Versammlungen bis auf Weiteres verboten und die Pariser Polizei drückte die strafrechtliche Lappalie der unerlaubten Versammlung mit brutaler Härte durch. Von Liberté weit und breit nix zu sehen. Hier marschieren die Prügeltrupps eines autoritären Staatsverständnisses. Wenn es unter einer sozialistischen Regierung auf nationaler und kommunaler Ebene solche Szenen gibt, wie sieht es dann erst aus, wenn eine Marine Le Pen den Kurs vorgibt. Im Video finden sich etliche Szenen, die jeden Staatsanwalt, der auf dem Boden der demokratischen Ordnung steht, brennend interessieren sollten.

Liebe Freunde, mögen euch die folgenden Bilder aus Paris ebenso nah gehen und wach rütteln, und eben nicht blinde Wut…

Posted by Bodi Bill on Montag, 7. Dezember 2015

Die Aktivisten

Die Reaktion der Angegriffenen ist bemerkenswert. Viele sind wütend, können nicht begreifen, was da gerade vor sich geht und wie brutal die Polizei ist. Doch sie wandeln diese Wut in kreativen Protest. Clowns küssen die Schilder der Riot Cops, Breakdancer performen direkt vor den geschlossenen Reihen der Polizei und ein wunderschönes Pärchen fängt Sekunden nachdem direkt neben ihnen Mitstreiter verhaftet wurden, an sich zu küssen. Es ist eine berührende Szene, die Bände spricht über den Protest und den Widerstand gegen ein zerstörerisches System. Eine zutiefst menschliche Reaktion auf die Ungeheuerlichkeiten einer Staatsmacht, die an dunkle Zeiten im Pariser Mai 1968 erinnert.

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Die Geschichte

Damals kam es in Frankreich und fast allen westlichen Nationen, aber auch im Ostblock, zu einem Aufstand der Studierenden, der sich in eine Massenbewegung verwandelte und Frankreich an den Rand der Revolution brachte. In den heißesten Tagen im Mai 68 floh Präsident und Kriegsheld Charles de Gaulle nach Baden-Baden. Der Aufstand der Studierenden, Werktätigen und Linken wurde später brutal niedergeschlagen. Die französische Gesellschaft veränderte sich jedoch in den Folgejahrzehnten, genau wie fast alle westlichen Gesellschaften.

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Die Szene

Der Höhepunkt der europäischen 68er-Bewegung wurde filmisch zigfach in Szene gesetzt. Zuletzt sehr bemerkenswert im Jahr 2003 in „Die Träumer“ des italienischen Regisseurs Bernardo Bertolucci. Eine fesselnde Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen einem französischen Zwillingspaar und einem amerikanischen Studenten in den Hochtagen der Pariser Revolte. Die Kussszene in den Aufnahmen der jüngsten Klimaproteste erinnert auf mehreren Ebenen an „Die Träumer“. Das Paar erinnert frappierend an die „Träumer“-Besetzung Eva Green und Louis Garrel, die Liebe in Zeiten des Widerstands als Leitmotiv, die Tragik einer vergebenen, niedergeschlagenen Rebellion gegen den Status Quo.

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Der Epilog

Denn Frankreich erlebt düstere Zeiten. Vier Wochen nach den Anschlägen kommt Paris nicht zur Ruhe, die rechtsextremistische „Nationale Front“ wird bei Regionalwahlen stärkste Partei und ist vor allem bei jungen Menschen beliebt. Das Ziel der Terroristen, einen Keil zwischen die Menschen zu treiben, scheint aufzugehen. Für linke, demokratische Gegenkultur wird die Luft allmählich dünn. Aber mit der Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte geht auch der große Traum der selbsternannten „Grande Nation“ und das selbst gegebene Mantra „Liberté, Égalité, Fraternité“ zu Grunde. Doch Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn die starke Linke im Land nicht auch eine Antwort auf die Scheußlichkeiten der politischen Realität hätte. Diese auf den Straßen zu formulieren, und sich international zu vernetzen ist die einzige Möglichkeit dem drohenden FN-Erdbeben von rechts etwas entgegenzusetzen.

1 Kommentar

  1. Also, von „dokumentarische[r] Bildpoesie“ kann ich in dem Video wenig sehen, dafür aber viel Polizeigewalt, und die derzeitige Regierung in Frankreich „sozialistisch“ zu nennen, ist, von den politischen Inhalten her gesehen, genauso verfehlt, wie das C in CDU oder CSU für „christlich“ steht!

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