Haftbefehls Mixtape „Unzensiert“- Nur der Sohn seines Vaters

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Eigentlich müsste Haftbefehl der feuchte Traum aller Integrationsbeauftragten sein. Baba Haft aus Offenbach haut mit seinem Unzensiert-Mixtape ein Brett von verfrühtem Weihnachtsgeschenk raus, das diskursiv wieder mal alle vereinen wird, deren Puls bei Haftbefehl aus den unterschiedlichsten Gründen steigt: Die Brennpunkt-Kiddies, das Feuilleton, selbsternannte Anwälte der Political Correctness und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

In der Realität haben die Integrationsbeauftragten entweder nix zu sagen oder andere Probleme. Haftis drittes Album Blockplatin wurde Ende Oktober auf den Index gesetzt. Blockplatin darf nicht mehr beworben oder an Minderjährige verkauft werden. Bleibt nur die Frage, wer der BPjM endlich steckt, dass dieser Stempel im Gangsta-Rap eher als Auszeichnung, denn als Makel verstanden wird.

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„Gangstarap? In Deutschland?“ werden jetzt viele von euch, zu Recht, fragen. Aber hier und heute soll es nicht um die ermüdende Diskussion über die Deutungshoheit über bundesdeutsche Brennpunktkieze gehen, sondern um die Kunst, die ihren wohlig-feuchten Nährboden in eben jenen Nachbarschaften hat.

„You can´t be half a gangster!“

In der großartigen, nur teilfiktionalen Fernsehserie Boardwalk Empire wird der Bürgermeister und Unterwelt-Boss von Atlantic City Nucky Thompson (fantastisch gespielt von Steve Buscemi) von einem Nachwuchsgangster darauf hingewiesen, dass er kein halber Gangster sein könne und sich endlich entscheiden müsse, ob er Gangster oder Bürgermeister sein möchte. Wie gut, dass Haftbefehl „nur“ noch Rapper ist, der hervorragend beides sein kann. Tagsüber Geld zählen und Augenbrauen zupfen, abends die eigene mittlerweile fiktive Teilidentität als Gangster auf die Bühne bringen und jede Menge Leuten ans Bein pinkeln. Es muss wirklich verdammt viel Spaß machen, Aykut Anhan zu sein.

Der wahrscheinlich berühmteste Offenbacher macht es sich auf Unzensiert in seinen Rollen bequem, die ihm seit seiner letzten regulären Platte auch öffentlich zugestanden werden. Es ging in den Rezensionen zu Russisch Roulette trotz krasser Ansagen und wenig Kompromissen tatsächlich mehr um Musik und künstlerische Ausdrucksformen im Rap, als um Haftis Räuberpistolen und Grenzüberschreitungen.

Cro, Hafti, Herzl

Und eben weil Anhan das Kunstfigurdasein zugestanden wird, gibt es jetzt keinen hysterischen Aufschrei auf mehrfache und uneindeutige Erwähnung der antisemitischen Rothschildtheorie. Die Kollegen, drüben bei den Ruhrbaronen, haben zum Thema ein hervorragendes Stück verfasst.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob einem anderen, vom Feuilleton weniger geliebten Rapper, diese Textzeilen nicht um die Ohren geflogen wären. Aber Haftbefehls Strategie, Rollen nicht zu kennzeichnen und die Interpretation der eigenen Texte anderen zu überlassen, scheint aufzugehen. Er spielt den Ball zurück zum Adressaten und fährt sehr gut damit.

Haftbefehl – Haftbefehl = ?

Was also bleibt übrig, wenn man Haftbefehls Straßenraprituale, Dicke-Hose-Attitüde und Storytelling abzieht? Auf Unzensiert erstaunlich viel Politisches. Depressionen im Ghetto bietet beispielsweise einen deutlichen Hinweis darauf. Für Haftbefehl geht es um einen Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz, der als aussichtslos empfunden wird.

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Anhan nimmt die Perspektive eines Aussenseiters ein, der sich enttäuscht von der Mehrheit abwendet, „Vater Staat fickt“ und „auf den Adler schießt“. Das kann man trivial finden, vor allem wenn dann auch noch plakativ „der Mindestlohn sinkt“, aber all denjenigen, die über diese Selbstüberhöhung und Täter-Stilisierung lachen, sei die Zeile „Ich bin nur Sohn meines Vaters“ ans Herz gelegt.

„Ich bin nur Sohn meines Vaters“

Mit diesem einfachen Satz macht Haftbefehl seine Ausnahmequalität und das Grundproblem realer Benachteiligung und Stigmatisierung durch die Mehrheitsgesellschaft deutlich und malt ein Bild, das jeder versteht, ganz egal ob Literaturwissenschaftler oder Brennpunkt-Kiddie. Auf soziale und ethnische Herkunft reduziert, finden sich viele Jugendliche in den aufregenden Halbwelten deutscher Brennpunkte wieder, die ihre Überhöhung und Weiterspinnung in Haftbefehls Texten finden. Welch Ironie, dass mit Hafti einer der kompromisslosesten Texter aus den Brennpunkten der Republik einen Status erreicht hat, in dem fast alles, was er von sich gibt, ins Detail analysiert, von allen Seiten betrachtet und dann abgefeiert wird.

Den Kiddies in Neukölln, in Marxloh oder am Hasenbergl wird zwar freilich immer noch nicht zugehört, dafür aber einem der Ihren. Und das Beispiel Haftbefehl vermittelt den neuen Halbstarken, dass mittlerweile schon über einen geredet wird, wenn man gekonnt und provokativ darüber rappt, die Schrotis ausm Schrank zu holen anstatt die Schrotis tatsächlich aus dem Schrank zu holen. Und spätestens hier fängt es an sehr seltsam zu werden. Konsequent weiter gedacht könnte Haftbefehl mit seiner von der Mehrheitsgesellschaft stürmisch-schizophren gefeierten Kriegserklärung an die Mehrheitsgesellschaft bewiesen haben, dass man es eben vermeintlich doch ganz nach oben schaffen kann, wenn man nur laut und gut genug rappen kann.

Trotz des ganzen CopKKKilla-Getöses und verbaler Kriegserklärungen:
Mehr Systemstabilisierung, mehr „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Attitüde und mehr Aufstiegspathos geht ja eigentlich kaum. Es wird Zeit Haftbefehl zum Ehrenvorsitzenden aller „Integrations-Beauftragten“ zu machen.

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