Juse Ju, der ewige(!?) DIY-Eigenbrötler, hat im Herbst mit „Angst&Amor“ sein neues Album releast. Für Juse gehört es zum guten Ton seine Platten als Free Download zur Verfügung zu stellen, was ihn in einer gerechten Welt, angesichts der Download-Zahlen, in die Charts bringen müsste. Für seine Form der Rapkunst ist es allerdings ganz gut, dass die Welt so ist wie sie ist. Denn Juse vereint klassischen Battlerap, Selbst- und Fremdreferenzen mit einer wohltuenden Distanz zu sich selbst, der Welt und selbst seinen besten Freunden. Beste Voraussetzungen für ein ziemlich ausuferndes Interview in einer Kreuzberger Kneipe, das Punchlines im Minutentakt lieferte. Wie beim Fatoni-ZehnMalZwei neulich, begleitete uns Synchronsprecherin und Schauspielerin Maxi Häcke, die als Marie Gold auf Juse Jus „Rebound Boy“ die Vocals lieferte. Mit Maxi haben wir in nächster Zeit noch Großes vor, aber dazu mehr zu einem späteren Zeitpunkt. Jetzt erstmal viel Spaß mit Juse Ju!
1 Maxi: Juliens Blog oder Pierre Vogel?
Juse Ju: Ist das die Frage, wessen Gesicht ich in ein Urinal drücken möchte!? Juliens Blog, glaub ich. Der Mann hat einfach die Welt, die Politik und alles durchschaut. Er weiß einfach alles und hat daher auch das Recht alle zu beleidigen. Auf gar keinen Fall ist er ungefähr auf dem Niveau eines NPD-Abgeordneten, der auf Kinder steht, sondern er ist wirklich ein schlauer Typ. Was er alles weiß, ist wirklich der Wahnsinn. Ein unglaublich guter Typ, der mit dem Gesicht im Urinal eine noch viel bessere Figur abgeben würde.
Maxi: Ich finde deinen Song „Youtube-Pinup“ sehr gut und würde mich freuen, wenn du was dazu sagen könntest.
Juse Ju: In Youtube-Pinup begebe ich mich ja in die Rolle des Youtube-Pinups. Es gibt jede Menge Youtube-Stars, wie Unge, auf den die Mädels abfahren, weil er so süß ist und Longboard fahren kann, aber keine Tricks kann. Unge ist am ehesten ein Youtube-Pinup für zwölfjährige Mädchen. Aber mir geht’s eigentlich eher um Youtube-HipHop-PinUps und es geht vor allem darum, wie man in Musik, die banalsten Dinge des Lebens als dramatisch, furchtbar, traurig oder auch großartig beschreiben kann. In Youtube-Pinup gibt’s Anspielungen an Prinz Pi und Olson. Prinz Pi, weil er ein Album übers Abitur machen gemacht hat. Ich hab mir „Kompass ohne Norden“ mehrfach angehört und es geht halt darum, das Abitur zu machen und ich fand das witzig. Rapper wie Casper können sehr gut Tracks über banale Dinge machen, aber bei anderen driftet das dann ins Lustige ab.
2 Julian Pausenhoflogik oder Studentenrap?
Juse Ju: Studentenrap folgt auch der Logik des Pausenhofs, denn die ganze Welt folgt der Pausenhoflogik.
Ich habe noch nichts kennengelernt, was nicht dieser Logik folgt, was gar nicht gegen den Pausenhof spricht. Es zeigt nur, dass wir immer noch kindisch bleiben, wenn wir erwachsen sind, was ja vielleicht gut ist. Es geht immer darum: Wer kennt wen? Wer hat was gemacht? Es geht immer um sehr banale menschliche Probleme. Es geht meistens um den Maschendrahtzaun, wenn man ehrlich ist und das ist halt die Logik des Pausenhofs: Wer ist der Babo? Wer ist der King auf dem Pausenhof? Wer ist eher der Loser und wer ist eher der Außenseiter? Das ändert sich auch nicht, wenn man erwachsen wird. Auch im Studentenrap geht’s darum: Wer kennt Blumentopf? Ich kenne Blumentopf, die alle sehr nett sind. Wer kennt alle Schönlinge, die alle BWL studiert haben und jetzt dann Bookingagenturen haben? Es ist genau das selbe.
3 Maxi: Lebensthema eigene Männlichkeit oder Lebensthema Machismo im Deutschrap?
Juse Ju: Eigene Männlichkeit, ganz klar! Es geht in meinen Raps zu 50 Prozent darum, was Männlichkeit ist und ob ich dem entspreche oder nicht.
Wenn man die hegemoniale Männlichkeit in unserer Gesellschaft sieht, dann entspreche ich ihr nicht. Ich bin aber der Überzeugung, dass Marteria ihr in einer gewissen Weise entspricht. Er hat alle Attribute eines hegemonialen Mannes. Er ist auf seine Weise kreativ, ist dabei unglaublich erfolgreich. Er hat sehr viel Geld, er ist ein wahnsinnig guter Sportler, er sieht unglaublich gut aus, er war Model. Viele Frauen finden ihn sehr toll.
Es gibt verschiedene hegemoniale Männlichkeitsbilder. Marteria erfüllt das hegemoniale Männlichkeitsbild der Mittel- bis Oberschicht, weil er auch sehr viel reist. Der moderne Mann ist international, er hat schon die ganze Welt gesehen. Urlaub ist wichtig in Deutschland. Aber auch jemand wie Farid Bang bedient mit viel Muskeln und einem gewissen Humor auch ein bestimmtes männliches Ideal, aber eben von anderen Leuten.
Julian: Ist es dann auch ein Ziel von dir diese Männlichkeitsbilder zu dekonstruieren und zu überzeichnen!?
Juse Ju: Nein, aber das, was die Gesellschaft als perfekten Mann ansieht, kannst du niemals erreichen. Unsereins, normaler Mensch, lebt ähnlich wie die Frauen mit diesen Vorbildern, die wir ständig in irgendwelchen Werbungen und Filmen sehen. Wie Til Schweiger, dieser kernige Typ. Du läufst dann als normaler Mann durch diese Welt der tollen Männer, aber du kannst das ja nicht erfüllen.
Maxi: Aber das ist bei Frauen genauso!
Juse Ju: Natürlich, klar. Das hegemoniale Frauenbild beschäftigt mich auch, aber eben nicht so sehr, weil ich selbst keine Frau bin. Das ist ein Problem von Frauen, das die behandeln können und sollen. Ich kenne im Rap jetzt nur Sookee, die das thematisiert.
4 Julian: Lieber holpernder Rap oder holpernde Beats?
Juse Ju: Holpernde Beats. Holpernde Raps sind wack! Insofern sind meine Raps alle wack. Ich finde holpernde Beats total geil und man kann auch holpernd darauf rappen. Ich rappe gerne mal holpernd und warte darauf, dass irgendjemand bei Youtube drunter schreibt: „Das ist doch Offbeat“. Ja korrekt, aber dir ist schon aufgefallen, dass mein Schlagwort trotzdem auf der Snare landet!? Ist nicht aufgefallen!? Ok, gut, alles Experten. „Wer ist nochmal alles on Beat!?“ Spongebozz ist on beat. Der hat ja auch die simpelste Art zu rappen, die es gibt. Da ist man dann immer on beat. Ich höre und mache so lange Rap, dass diese experimentellen Rapformen verstanden werden. Rapfans verstehen schon, was Lakmann früher gemacht hat oder Taktloss. Die sind ja nicht Off Beat. Off-Beat bist du, wenn du sehr kurz rappst, weil sie kein Konzept haben oder weil sie vor dem Beat sind. Vor dem Beat sein ist die einzige Variante, wie du wirklich Off Beat sein kannst.
5 Maxi: Untergrund-MC oder Major-Deal?
Juse Ju: Major-Deal. Untergrund-MC habe ich jetzt über zehn Jahre ausprobiert. Es wird gerne romantisiert, ein Untergrund-MC zu sein, es ist aber ehrlich gesagt nur nervig. Es gibt genug Beispiele von Leuten, die einen Major-Deal haben und das gut machen. Das Problem beim Major-Deal ist, dass da dann selbsternannte Experten ankommen. Das ist das einzig Gute am Untergrund: Da kommen zwar auch selbsternannte Experten und sagen dir: „So musst du das machen, das ist unsere Marketing-Strategie.“ Denen kannst du dann aber sagen: „Wer bist du denn? Verpiss dich!“ und bei Major-Labels sind das dann deine Chefs. Die wollen dann irgendwas und du denkst dann: „Oh nein. Ihr seid solche Spastis!“ Ich glaube trotzdem, dass es geht, auf dem Major eine gute Platte zu machen. K.I.Z. schaffen das regelmäßig. Casper schafft das. Die Orsons auch. Also es geht. Ich glaube, man muss die Leute, die selber nicht rappen, aber meinen zu wissen, wie man eine gute Platte macht, einfach ignorieren. Man muss denen sagen: „Ja, das Album, anstatt hellblau eher so babyblau zu gestalten, ist eine richtig gute Idee, danke!“
Maxi: Ich habe ja die neue Platte von deinem guten Freund Fatoni gehört und feiere sie sehr. Das ist ein wunderbares Album. In diesem Zusammenhang fällt mir spontan Fatonis Textzeile ein:“Und sie waren jung und hungrig. Und man ist nur jung und hungrig, wenn man Untergrund ist.“ Wie bleibt man denn jung und hungrig?
Juse Ju: Jung bleiben geht gar nicht, weil man wird ja älter. Auch ich mache zum Glück nicht mehr das, was ich mit 21 gemacht habe. Aber ich bin auf jeden Fall noch hungrig. Wenn man so viel dafür arbeitet, wie ich gerade, dann muss man auch einen gewissen Hunger haben. Man macht ja nicht Rap nebenbei in seinem Zimmer. Es gibt Leute die das machen, aber bei mir ist das nicht so. Ich hab da schon einen professionellen Anspruch, weil ich ja Labelarbeit, Booking und Promo alles selber mache. Ehrlich gesagt, stoße ich jetzt total an meine Grenzen. Also mein Job und das Rapding gleichzeitig, heißt halt, ich habe sieben Tage die Woche einen 14 Stunden-Tag und das ist dann vor jedem Album vier Monate so. Danach hast du einen Burnout. Das ist nicht geil. Deswegen würde ich am liebsten mein ganzes Leben lang Untergrund bleiben. Klar, du kannst immer sagen: Ich nehme jetzt in meinem Zimmer auf, misch es selber schlecht ab, hab kein Mastering, bring es irgendwie raus und scheiss auf alles. Das ist nicht das, was ich will. Ich hatte noch nie einen Masterdeal und werde wahrscheinlich auch nie einen kriegen. Aber wenn ich jemals einen hätte, dann würde ich es scheisse finden. Ich bin jemand, der viel scheisse findet.
Maxi: In diesem Zusammenhang: Wichtige Entscheidungen bei einem Facebook-Voting entscheiden lassen oder von Typen in Nadelstreifen?
Juse Ju: Ich hab bei Facebook zur Wahl gestellt, wie mein neues Album erscheinen soll. Man konnte wählen zwischen CD, Vinyl, Free Download und gar nicht. Ähnlich wie der Joker bei „Dark Knight“ habe ich gedacht, die Menschen sind böse. Ich war der festen Überzeugung, dass ein Großteil der Menschen anklicken wird: Gar nicht. „Dass die alle sagen: „Brings gar nicht raus! Wir hassen dich! Stirb!“ Weil ich es aus dem Internet gewöhnt bin, dass die Menschen sehr viel Hass verbreiten. Ich wollte, dass die Leute gar nicht schreiben, weil ich meinte eine Methode gefunden zu haben, diesen Hass produktiv zu nutzen. Ich hatte mit einem Kumpel ein Video gedreht, in dem man sieht, wie ich das einstelle und habe gesagt: „Ich nehme an sehr viele Menschen werden „gar nicht“ klicken, aber liebe Freunde: Facebook hat eine Logarithmus, der besagt, dass je mehr Leute sich beteiligen, desto weiter verbreitet sich mein Post.“ Ich wäre ja dumm, diesen Hass nicht produktiv zu nutzen und mein schönes Albumcover weiterverbreiten zu lassen. Ich werde vielleicht neue Leute auf mich aufmerksam machen, eben durch den Hass der Leute. Das war mein Plan und er ist grandios gescheitert, denn die Leute haben wirklich abgestimmt. „Hey, Brings doch als Free Download oder als Vinyl oder CD, bitte.“ Und alle waren nett. Und in einer Welt, in der Leute nett sind, kann ich einfach nicht leben.
6 Julian: Die Bandbreite oder Makks Damage?
Juse Ju: Ich kenne die Bandbreite nicht, was ist das?
Julian: Das sind Querfront-Rapper. So KenFM-Mahnwachen-Rapper.
Juse Ju: Ich kenne die nicht, aber ich bin sicher, dass ich die toll finde. Auf jeden Fall lieber Wahnmache als Nazis wie Makks Damage. Das ist ein Grad von Verdummung, den ich verurteile. Diese Mahnwachen habe ich mir angekuckt und ich find das scheisse. Die reden so viel Quatsch. Ken Jebsen redet 24 Stunden am Tag nur über sich selbst und sein gekränktes Ego. Ich weiß gar nicht, wo da überhaupt der Inhalt ist. Bei jeder zweiten Aussage, die er macht, denke ich mir: Das ist doch Unfug. Finde ich nicht gut, aber das sind für mich trotzdem keine Nazis. Da ist nochmal ein krasser Unterschied zwischen denen, die oft nicht mal so das Falsche wollen, aber halt uninformiert sind und sich auf Feindbilder einschießen. Makks Damage ist einfach voller Menschenhass auf eine ganz ungesunde Art. Der soll sich ficken.
Julian: Die Frage zielt darauf ab, inwiefern man als politischer Mensch über diese Themen rappt oder Rap nur als Agitprop nutzt. Wie siehst du das?
Juse Ju: Ich möchte da mein großes Vorbild Koljah zitieren: „Wenn ich sage: Ich hasse politischen Rap, das ist politischer Rap, oh yeah! Sorry, aber nix ist blöder, als politischer Rap und seine Hörer!“
Politischer Rap, um des politischen Raps Willen ist Bullshit. Koljah hat gesagt: „Ich lese ein Buch, wenn ich was wissen will.“ Das stimmt. Jetzt werden die Leute sagen: Du hast ja auch politische Songs wie Akte X, German Angst oder noch mehr. Ja, aber das sind ja Battletracks. Da geht’s darum Leute zu beleidigen, nicht um komplexe Zusammenhänge, für die Rap nicht geeignet ist. Die Zeigefinger-Mentalität ist nicht genug. Da muss man schon auch noch Style haben. Im Rap geht’s um geilen Rap mit geilen Sprüchen.
Maxi: Was sagst du denn dann zu „Beate Zschäpe hört U2“?
Juse Ju: Einerseits ist das eine Geschichte, wie im Panik Panzer-Part. Aber Danger Dan und Koljah batteln andererseits einfach Leute weg z.B. Ken Jebsen. Das finde ich dann wieder in Ordnung.
Maxi: Gerade bei den Antilopen beschäftigt mich das. Ich bin ein großer Fan und das auch schon sehr lange. Es war ja immer schon so, dass da unglaublich viel Message drinsteckt und dass ich schon manchmal das Gefühl hatte, dass die Devise gilt: Fick die Form, wir bringen das jetzt einfach raus.
Juse Ju: Ich glaube, dass die Antilopen heutzutage anders an die Sache herangehen. Musik ist Gefühl, es geht nicht um Knowledge, auch wenn das irgendwelche Torches oder KRS-Ones sagen.
„Beate Zschäpe hört U2“ ist ein starkes Bild und künstlerisch interessant. Mit einem geilen Refrain und Koljah rappt in seiner Strophe auch richtig geil. Dann hast du auch wieder Gründe was Politisches zu machen.
Viele sagen: „Im Rap geht es um die Message“. Das ist Bullshit. Im Rap geht es um Gefühle.
Maxi: A propos Politik: Als Motherfuckin Grinch Kinder erschrecken oder Flüchtlinge am Bahnhof begrüßen!?
Juse Ju: Der Grinch erschreckt ja keine Kinder, sondern er klaut ihnen Weihnachten. Zu Recht. Ich bin jetzt nicht so ein grüßender Mensch. Ich spende lieber und bin nicht so der Macher, was das angeht. Ich finde es gut, dass die Leute das machen. Wenn das niemand machen würde, würde ich vielleicht auch am Bahnhof stehen. Ich finde es erstaunlich, wie viele das sind. Ich finde das gut.
7 Maxi: Lieber Rebound Boy sein oder ein Rebound Girl haben?
Juse Ju: Rebound Boy sein ist eine ziemlich demütigende Sache. Wenn du ein Rebound Girl hast, dann demütigst du sie, das ist auch nicht gut. Ist beides eigentlich nicht so toll. Der Sond „Rebound Boy“ nimmt das ja auch so ein bisschen auf die Schippe. Der Song ist ungefähr vier Wochen, nachdem mit meiner letzten Freundin Schluss war, entstanden. Ich hatte dann die abstruse Idee, dass der Rebound Boy nicht nur Opfer seiner Lage sein könnte, sondern dass sich der Rebound Boy wissentlich in die Loserposition begibt, um dort mal so richtig abzusahnen. Darum geht’s in dem Song: Dass jemand weiß, er hat bei diesen Frauen keine Chance, weil er eben nicht das hegemoniale Männlichkeitsbild erfüllt, aber einfach mal ne Zeit lang mit unglaublich heißen, unglaublich eingebildeten und dummen Bitches rumzuhängen.
Maxi: Lustigerweise hat das Olli Schulz in seiner Radiosendung neulich als neues Berufsbild vorgetragen, für das er sich anbieten würde. Olli würde sich öffentlich als Rebound Boy zur Verfügung stellen.
Juse Ju: Olli Schulz, du verfluchter Biter! Ich habe diesen Song halt schon vor einem halben Jahr geschrieben. Ich hatte die Idee vorher! Die meisten Leute, die aus einer Beziehung kommen, sind ja gar nicht bereit für irgendwas. Es gibt Leute, die nicht alleine sein können und die haben dann so Rebound-Sachen.
8 Julian: Max Herre-Diss oder Fatoni-Hommage?
Juse Ju: Ich habe Max Herre nie gedisst. Ich bedauere nur einfach vieles und ne Fatoni-Hommage würde ich sofort machen. Fatoni ist ein toller Künstler,aber ich finde viele Künstler gut. Ich könnte mir auch vorstellen so zu rappen wie Fatoni, aber da er ja seinen Style von mir gebitet hat, muss ich ja nur rappen wie ich (lacht dreckig) Hörst du das, Fatoni!? Nimm dies!
Julian: Du sagst, du hast Max Herre nicht gedisst!? Also bist du einfach nur ein verletzter ehemaliger Fan oder wie!?
Juse Ju: Der Song „Messias aus Benztown“ auf dem neuen Album ist ja kein Diss an ihn. Mir ist schon klar, dass irgendwelche Rapupdate-Idioten das so sehen werden, aber das ist Quatsch. Es geht in dem Song, darum, wie Fans ihre Vorbilder wahrnehmen. Eigentlich sind nicht die Künstler die Freaks, sondern ihre Verehrer, die sich dann Zeilen tätowieren lassen und all diese Sachen. Bei Max Herre ist es so, dass ich die ersten zwei Freundeskreis-Alben definitiv auswendig mitrappen kann. Diese Figur, die ich darstelle, die bin ich ja nicht. Diese Figur ist ein Linksradikaler, der sich radikalisiert hat, weil er als Kind Max Herre gehört hat. Während dieser Typ immer weiter in den Sumpf aus Menschenhass und Weltrevolution abdriftet, ist Max Herre immer weiter ins Bürgerliche und in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist. Beide haben sich zwar immer weiter voneinander entfernt, aber von dieser Beziehung weiß Max Herre ja gar nichts. Das ist ähnlich wie im Film „Bodyguard“. Aber eigentlich ist der Song eine Hommage an Eminem und seinen Song „Stan“, wobei es sich Eminem leicht macht und einen Fan von sich selbst beschreibt.
Aber bleiben wir mal bei Juse Ju. Nehmen wir an, Juse Ju rappt jetzt irgendwelches politisches Zeug und sagt soundso musst du leben und irgendjemand richtet sich das Leben nach meinen Vorstellungen ein. Aber wenn ich vierzig bin, stelle ich auf einmal fest:“Hey, ich bin jetzt doch CDU-Mitglied und ich finde eigentlich sollten deutsche Grenzen zu sein.“ Dann wird der Fan wahnsinnig enttäuscht sein, weil er sein Leben nach mir ausgerichtet hat und feststellt: „Juse Ju ist nicht diese Sehnsuchtsfigur!“
Aber ich glaube, dass ganz viele Menschen in Deutschland immer noch nach Führern und Sehnsuchtsfiguren suchen, die aber trotzdem Menschen sind. Und auch Max Herre ist ein Mensch, hat Kinder und eine Frau und ist nicht mehr der, der sagt: „Weil jetzt andere an die Töpfe wollen, aus den Vollen schöpfen wollen, die Revolution kommt.“ Ich muss ihm das nicht unbedingt vorwerfen, aber ich werfe ihm das schon ein bisschen vor, weil ich auch nicht gut finde, was er heute macht. Ich finde, er hätte sich künstlerisch auch besser entwickeln können. Aber im Song geht es weniger um Max Herre, als um diesen Menschen, der ihm als Vorbildfigur gefolgt ist und im Endeffekt auch selbst scheitert, sich verkauft und in der Castingshow mitmacht und sagt: Du bist mein Vorbild, ich ging mit dir in den linksradikalen Häuserkampf und jetzt geh ich mit dir in die Castingshow, denn du bist da auch hingegangen.
Julian: Wenn du das so beschreibst, fällt mir ein, dass ich immer Gänsehaut kriege, wenn auf Rapkonzerten der rechte Arm nach oben geht, um sich rauf und runter zu bewegen. Das find ich irgendwie scheisse und bekomme immer innere Beklemmungszustände. Geht dir das auch so auf der Bühne?
Juse Ju: Ich hab meistens die linke Faust oben. Ich muss zugeben: Ich denke da immer an die Zeile von Snaga: „Ich bin nicht Hitler, aber wenn ich spitte, heben alle ihren Arm hoch.“ Wobei ich nicht finde, dass Rap eine Musikrichtung ist, in der Gottheiten geschaffen werden. Blinde Followerschaft finde ich viel schlimmer bei Youtubern oder bei großen Popstars wie Katy Perry. Rap, gerade in Deutschland, ist ja sehr nahe an den Leuten. Du siehst ja diese Menschen echt, es sind ja nicht nur reine Traumfiguren, sondern die sind meistens relativ nah dran. Die Youtuber-Followerschaft macht mir ein bisschen Angst, weil die sind ganz offensichtlich geistig minderbemittelt. Ich finde, Deutschrap ist eigentlich eine sehr diskursive, demokratische Musikrichtung. Egal, wie groß der Star ist, da kommt einer und disst dich. Kool Savas ist kein Despot, der für immer König sein wird, sondern dann kommt Kollegah, klopft lustige Sprüche und schon bröckelt der Thron. Das wird ja dauernd verhandelt.
Maxi: Es gibt ja auch verschiedene Strömungen, die alle koexistieren dürfen.
Juse Ju: Mit meinem Boom Bap, was man Alternative Rap nennen würde bin ich ja zusammen mit Fatoni, Audio88&Yassin oder Retrogott. Aber ich selbst, höre eigentlich die ganze Zeit nur Gangsta Rap.
9 Julian Vorurteile Pt. 4: lieber mit Chefket oder mit Haftbefehl?
Juse Ju: Haftbefehl. Ich hab Chefket ein paar mal getroffen, er ist sehr nett. Cooler Typ und krasser Rapper. Aber Haftbefehl hätte einen größeren Überraschungseffekt und mich würde sehr interessieren, wie er diesen Song präsentieren würde. Ich sag mal so: Ich habe „Russisch Roulette“ mehr gefeiert als „Nachtmensch“, was „Nachtmensch“ nicht schlechter macht, sondern „Russisch Roulette“ besser.
Es würde mich sehr interessieren, was Haftbefehl daraus machen würde. Ihn auf so nem Uptempo-Beat zu hören, das wäre schon ein Highlight. Ich würde da selber auch gar nicht mehr drauf rappen. Das muss dann Fatoni machen.
10 Julian: George Grosz oder Blu?
Juse Ju: Blu ist ne Band, oder?
Julian: Ja, aber ich meinte den Künstler Blu, der auch dieses berühmte Mural am Schlesi gemacht hat. Auf deinem Albumcover sind diese Stammtischtypen drauf, die total an die Republikfeinde und Nazis im George Grosz-Bild „Die Stützen der Gesellschaft“ aus der Weimarer Republik erinnern. Ist das eine Referenz oder ist es Zufall?
Juse Ju: Ich habe dem Cover-Gestalter Christian „Wischnik“ Wischnewski diese Referenz nicht gegeben. Also wenn, dann hat er sich die selber gezogen. Ich habe mit ihm über dieses Cover geredet und hatte irgendwann die Idee zu sagen: Jeder Track soll eine Figur bekommen auf diesem Cover und es soll ein großes Gewusel und Chaos geben, wie bei „Übertreib nicht deine Rolle“. Dann meinte Christian: „Und was denkst du dir bei German Angst!?“
Da hab ich mich gefragt: Was ist Deutschland? Und die Antworten hat Christian dann überzeichnet und mir den Entwurf von diesen drei alten Herren gegeben. Ich kann mir schon vorstellen, dass es ne Grosz-Referenz ist, denn er liebt das. Aber ich kanns dir jetzt nicht hundertprozentig sicher sagen.

Maxi: Warum eigentlich der Albumtitel „Angst&Amor“!?
Juse Ju: Der Titel bezieht sich auch auf den Song „German Angst“.
Ich finde, es geht auf dem Album sehr viel um Deutschland, wie Deutschland sich sieht und seine Männer und Frauen. Ich wollte der Angst aber noch was entgegenstellen und Liebe ist ein sehr starkes Gefühl und überbrückt ja auch die Angst wiederum. Die Liebe kommt ja auf dem Album auch in gewisser Weise vor. Liebe und Angst sind so die zwei großen Emotionen, die auf dem Album vorkommen, neben Hass. Man muss ja anfangen die Armseligkeit der Deutschen und der Menschen generell zu lieben, sonst muss man sich ja die ganze Zeit selbst hassen. Ich bin auch selbst nicht davon befreit, ich bin ja so eine Prototyp-Kartoffel. Ich bin ja nie hingegangen und hab gesagt: Ich setze jetzt alles auf die Karte Rap und habe ein Künstlerleben. Das lebe ich überhaupt nicht, sondern ich habe meinen Job und nebenbei mach ich Rap, weil ich es einfach nicht mit meinen eigenen Angstzuständen hinbekomme nur auf Rap zu setzen. Da passt der Titel ganz gut, weil die Angst dafür sorgt, dass meine Liebe dieses Album macht.
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