The Life Of Pablo: Keeping Up With Kanye

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The Life Of Pablo: Keeping Up With Kanye
Bild via http://thepablo.life/
Ich war gestern im Kino. Modenschau gucken. Noch eine Woche zuvor war ich mir relativ sicher, dass es auch eine Live-Performance eines neuen Albums zu hören geben würde. Gestern, einige Stunden vor dem geplanten Beginn des Live Stream hatte ich eigentlich alle Hoffnung aufgegeben, dass es überhaupt Musik zu hören geben würde: Kanye hatte den Titel des Albums im Vorfeld zigfach geändert, die angeblich finale Tracklist wurde immer wieder neu ausgewürfelt und kurzfristig sah es sogar aus, als würde Kim Kardashian ihre Twitter Follower per Umfrage über den Titel entscheiden lassen.

Im Kino dann die Gewissheit: Das war kein Album. Das war eine aus dem Ruder gelaufene Privatfeier für Kanye, seine Schwiegerfamilie und ein paar beinahe ebenso berühmten Kumpels. Im Madison Square Guarden. Und live in hunderte Kinos in Europa gestreamt (Aufzeichnung im Loop her):

Auf der Bühne waberten von 22:00-22:30 (unterbrochen vom Schriftzug „The show will start shortly“ um 22:15) zwei mit leichtem Tuch bedeckte Formen vor sich hin. Als das Tuch später abgezogen wurde bestätigte sich das, was die meisten Zuschauer schon vermuteten: Kanye hatte die Models, die seine Kollektion vorführten, darunter versteckt.

Aber zurück zum Beginn der Vorstellung. Von Scheinwerferlicht verfolgt nehmen die Kardashians ihre Sitzplätze ein. Kanye selbst hat seine Frau und die Familie eingekleidet, scheinbar beinahe komplett in Gänsefedern. Kylie Jenner ist ungefedert und trägt ein hautenges Ding aus weißer Wolle. Einer der furchtbar lauten Amerikaner in der Reihe hinter mir schreit „Oh my god I love you Kylie!“.

Immer noch keine Musik. Kein Anzeichen irgendeiner Show. Dann endlich: Kanye betritt, das Haupt geschmückt mit einer Kappe im Werbepräsent-Stil, die Bühne. Die Bühne? Nein, eigentlich nicht. Eigentlich stolziert er in Gefolgschaft seiner Labelkollegen zwischen den Zuschauern hindurch zu einem Mischpult. Handshake hier, Bro Hug da. Immer noch keine Musik. Ein anderer furchtbar lauter Amerikaner hinter mir murmelt in maximaler Lautstärke „Oh wow, Pusha’s killin‘ it“. Mit Pusha meint er Pusha-T, Rapper bei Kanyes Label, GOOD Music, und seit neuestem dessen offizieller Chef.

Während Kanye und seine Jungs versuchen, erst ein Notebook und dann schließlich ein iPhone an das Aux-Kabel des Mixers anzuschließen, frage ich mich, wie Kylie Jenner und Pusha-T die Gruppe Amerikaner hinter mir so dermaßen zum Ausrasten bringen konnten. Kyle war nur für Sekunden zu sehen gewesen und trug ein Wollkleid im Motten-Loch-Look. Pusha-T stand einfach nur da – zwar in einer Jacke, wie man sie sonst nur auf Nussknackern aufgemalt sieht, aber dennoch: Er stand einfach nur da. Was hat das mit „killin‘ it“ zu tun?

Dann geht die Show los. Kanye spielt sein neues Album tatsächlich von seinem iPhone aus vor. Zwischendurch erklingt sogar noch einmal das iPhone-typische Screen-Unlock-Signal über die Lautsprecher des Madison Square Garden und über tausende Kinolautsprecher. Das Erlebnis kann für die Zuschauer direkt vor Ort nicht viel bewegender als für die Kinozuschauer sein. Denn da gibt’s nicht viel zu erleben. Im Stream gibt’s zu 95% Bilder der Models in Kanyes neuester Mode zu sehen. Wenn zwischendurch mal Kanye auf der Leinwand erscheint, scheint er mit seinen Kumpels (u.a. Future, Young Thug, Travis Scott und Pusha-T, der natürlich immer noch alles killt) zwar eine Menge Spaß zu haben. Aber dafür um 22 Uhr zu einem verhältnismäßig hohen Preis ins Kino? Sollten die Zuschauer nicht reihenweise schimpfend den Saal verlassen?

Ich sehe mich um. Auch bei kopfnickenswerten Beats der jetzt endlich laufenden Musik eher wenig Kopfnicken. Dafür extremes Gossiping in kleinen Grüppchen. Bei fast jedem Kamerawechsel zeigen Kinozuschauer auf im Hintergrund unscharf erkennbare Schuhe und mutmaßen, inwiefern das die original Boost-Sohle sei, oder ob einen da eine Neuerung erwarte. Als Naomi Campbell die Bühne betritt hebt sich der Geräuschpegel im Kino noch einmal deutlich. Warum? Weil, naja, das ist „NAOMI FUCKING CAMPBELL“ da oben. Und das ist ja wohl voll „krass“. Krass? Die steht da einfach nur zwei Tracks lang rum, tut nichts und geht wieder. Hab‘ schon Krasseres gesehen.

Symptomatisch für das gesamte Event ist, dass die ständig im Rampenlicht stehenden Models aus irgendeinem Grund keine Miene verziehen, nicht mit dem Kopf nicken und die Musik gar nicht mitzubekommen scheinen. Ähnlich scheint es den meisten Zuschauern im Kino zu gehen. Und auch für mich treten die Tracks im Spannungsfeld zwischen Gospel und Trap in den Hintergrund. Das ist doch keine Rap-Albumpräsentation?!

Das ist auch keine Rap-Albumpräsentation. Als Alben sind Kanyes Alben schon lange egal. Ihm sowieso. Aber scheinbar auch seiner Gefolgschaft. Für Yeezus gab’s nicht mal ein Cover. Das letzte Album im klassischen Sinne war „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“. Das letzte mal Rapper war Kanye auf seinem Watch The Throne Projekt mit Jay Z. Seit Yeezus sind Alben nur die Höhepunkte von Beef, Promophasen, Abverkauf irgendwelcher Produkte und damit Kapitelüberschriften für The Life Of Kanye a.k.a. Keeping Up With Kanye.

Das Yeezus-Kapitel war die Abkehr vom Ziel, überhaupt Singles im Radio platzieren zu wollen. So genial manche Tracks waren, bei vielen Songs hätten Radiohörer den Sender gewechselt – in der Überzeugung, dass der Sender kaputt bzw. außer Reichweite ist. Yeezus war auch die Abkehr von old Kanye (dem Rapper-Produzenten): Während auf seinen ersten drei Alben 3, 4 bzw 10 Künstler als Produzenten aufgelistet waren, gibt es auf der Produzentenaufzählung zu Yeezus 24 Namen zu lesen – und das bei nur 10 Tracks!

Dass Kanye sich über seinen Wandel durchaus im Klaren ist, beweist er mit der zweiten Strophe des Tracks Feed Back auf dem neuen Album:

I miss the old Kanye, shit from the gold Kanye
Talking ‚bout the soul Kanye, set all his goals Kanye
I hate the new Kanye, the bad mood Kanye
The always rude Kanye, spaz in the news Kanye
I miss the sweet Kanye, chop up the beats Kanye
I’d like to say at that time I’d like to meet Kanye
See I invented Kanye, there wasn’t any Kanyes
And now I look and look around and there’s so many Kanye’s
I used to love Kanye
I even had the pink polo, I thought I was Kanye
What if Kanye made a song about Kanye
Called „I miss the old Kanye“
Man that would be so Kanye, that’s all it was Kanye
We still love Kanye and I love you like Kanye loves Kanye

Kanye weiß, dass Fans den alten Kanye vermissen. Kanye selbst fand den alten Kanye damals auch ganz nice. Der alte Kanye hat aber so viele andere Wannabe-Kanyes inspiriert, dass es jetzt viel zu viele davon gibt – ja, sogar solche, die sich so kleiden wie er und tatsächlich denken, sie wären er. Wir alle lieben Kanye und Kanye liebt euch wie Kanye Kanye liebt.

Kanye scheint für einen Moment seinen Kanye-Körper zu verlassen und sich aus sicherer Vogelperspektive anzuschauen, was er da eigentlich angerichtet hat. Spätestens mit seinem neuen Album, äh, Kapitel „The Life Of Pablo“ gehört der alte Kanye offiziell der Vergangenheit an. Auch althergebrachte Albenkonzepte sind für Kanye vorbei.

Er ist nicht auf Alben- oder Single-Verkäufe angewiesen. Wenn er zwischendurch mal was Radiotaugliches mit großen Namen aufnimmt (Only One mit Paul McCartney und Rihanna), dann wird das halt schnell unter’s Volk gebracht. Aber so richtig Geld oder mehr Fame bringt das nicht. Kanye hat längst andere Standbeine und sein Geschäftsmodell kardashianisiert:

Kanye ist offiziell Teil von America’s First Family. Kanye ist auch für rapfernes Publikum ständig präsent – und sei es nur als Teil von Watercooler-Gossip. Kanye ist der Designer des „Number One Shoe“, des „Number One Christmas Present“ – und dabei muss er noch nicht mal spezifisch werden: Er könnte sich sowohl auf die ollen Pantoffeln, die der alte Kanye damals für L.V. verhökerte, seine beiden Nike Modelle oder seine Adidas-Modelle beziehen. Kanye kann sich und sein aktuelles Kapitel außerdem mit Beef auf alleroberster Ebene promoten.

Das aktuelle Kapitel begann mit Beef mit Wiz Khalifa, Strippern, Amber Rose und Michael Jordans Sohn. Weiterhin prägend für das Kapitel „The Life Of Pablo“ dürften die Zitate aus „Famous“ feat. Swizz Beatz & Rihanna sein.

I feel like me and Taylor might still have sex
Why? I made that bitch famous

Mainstream-Medienpräsenz für Kanye, das aktuelle Kapitel „The Life Of Pablo“, seine Schuhe und seine Mode für ein paar weitere Wochen? Check. Läuft.

Fans des alten Kanye dürften wenig empfänglich für derartige Promo-Stunts sein. Aber wenn man erst einmal Jünger hat, braucht man keine Fans mehr. Wozu auch. Fans lesen Rezensionen. Fans kaufen Alben nur bei Gefallen. Fans kaufen keine Schuhe für tausend Euro und erst recht keine weißen Shirts für dreistellige Beträge.

Jünger kaufen nicht. Jünger unterstützen. Und mindestens die Hälfte der Kinozuschauer bestand aus Jüngern. Schuhe an den Füßen, die bei eBay den Besitzer nicht für unter € 500.- wechseln. Formlose, farblose, löchrige Sweatshirts die so unspektakulär aussehen, dass sie eine Stange Geld gekostet haben müssen – egal, ob sie nun wirklich aus Kanyes letzter Kollektion stammen oder von einem Luxuslabel, das Kanye mal in einem seiner Tracks erwähnt hat.


Zwischendurch hat sich Young Thug unter die Models gemischt. In einem vergilbten Schafsfellmantel und einer Flasche Sprite in der Tasche. Keine Pointe.

Ein „Thank you for supporting me“ ihres Idols reicht als Dankeschön. Kanyes Jünger bejubeln alles was Kanye tut. Und wenn Kanye einen furchtbar kitschigen und nichtssagenden Trailer für ein Videospiel vorstellt und die vor Ort anwesenden Jünger nicht so ausrasten wie geplant, dann erklärt Kanye, warum der Trailer ausrastenswert ist: Und zwar, weil das Spiel erstens von seiner Mamma handelt und zweitens, weil die Nerds in Silicon Valley seine Spiel-Idee nicht geil fanden und ihn erst einmal abblitzen ließen. Das muss man sich mal vorstellen: Kanye stellt eine Idee vor und Leute kritisieren ihn dafür. Das kennt der alte Kanye noch aus der Zeit, als er als Beatproduzent überall gefragt war, ihn aber niemand rappen hören wollte.

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Aber der neue Kanye? Der neue Kanye ordnet solche kleinen Missgeschicke in das Gesamtnarrativ ein und bringt die Jünger damit zum ausrasten: Er ist ein kreatives Genie. Und es ist nicht einfach, ein kreatives Genie zu sein. Es ist harte Arbeit. Aber er ist super stolz drauf. Und es geht um seine Mamma. Hier noch mal der Trailer, bitte schön – zack, beim zweiten Mal ertönt plötzlich deutlich mehr Jubel. Kanye ist zufrieden.

Fans sagen „ey yo Jesus, geil mit dem Wasser zu Wein, aber hast du auch Club Mate am Start?“. Jünger sagen „danke Bro!“. Auch wenn Jesus ab und zu mal Wein zu Essig macht.

Wer erst mal Jünger hat braucht keine Fans.

Wer erst mal Gönner hat braucht keine Gelegenheitskäufer.

Fans des alten Kanye dürften enttäuscht sein. Das herrlich nostalgische „No More Parties In L.A.“ mit Kendrick Lamar und Madlib, das im Vorfeld des T.L.O.P.-Event angekündigt wurde, hat’s nicht auf das Album geschafft. Das Event war zu sehr Event und zu wenig Musik. Future und Young Thug sind so allgegenwärtig, dass man auf die Features auf dem Album auch gut hätte verzichten können. Klar, da waren ein paar musikalische Glanzlichter dabei – aber das ganze Drum Herum hat so dermaßen erfolgreich davon abgelenkt, dass sie sich kaum genießen ließen.

Und die Jünger? Die Jünger werden Kanye weiter supporten. Die Jünger werden weiter dafür sorgen, dass Kanye und der Kardashian-Clan theoretisch sogar Scheiße zu Gold machen könnten. Das Album hätte eigentlich wirklich komplett scheiße sein können. Hätte kaum jemand mitbekommen. OMG I love you Kylie! Pusha’s killin‘ it! Kanye is so Kanye.

Kanye hätte nicht mal persönlich vor Ort sein müssen. OMG das wäre SO Kanye gewesen.

Solange Kanye 50% der A-Promis im Vorfeld erwähnt oder mit Twitter-Beef segnet und die restlichen 50% dann zum Event einlädt? Wer braucht da noch Kanye. Nächste Woche im Kino live aus Shanghai? Naomi Campbell und Pusha-T stehen nebeneinander. Oh wow. Was zieh‘ ich nur an? Woher krieg‘ ich jetzt ’ne Nussknacker-Jacke?

7 Kommentare

  1. […] nicht. Kanyes angebliche 53 Mio Dollar Schulden, seine Bettelei um Geld, seine vollkommen durchgeknallte Pre-Listening-Session neulich, das alles summiert sich zum Bild eines Menschen, der jedweden Bezug zur Realität verloren […]

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