Jan Böhmermann mag nach den Äußerungen der Kanzlerin abgetaucht und in seinem Glauben an die Freiheit der Satire tief erschüttert sein, seine Saat jedoch geht bei Anne Will auf. Die Auslotung der rechtlichen, geschmacklichen und vor allem satirischen Grenzen tritt in eine neue Phase ein, die auch Zuschauer teilhaben lässt, die sich bisher wenig Gedanken zum Thema gemacht haben. Die gestrige Anne Will-Sendung war so wichtig, wie spannend und noch dazu hoch unterhaltsam.
Mittendrin fängt auf einmal ein Fernsehstudio an zu atmen. Wo sonst in den Erste Reihe-Talkshows des Öffentlich-Rechtlichen fast immer alles perfekt läuft, drehten auf einmal die Maschinen durch. Ein Stromausfall sorgte dafür, dass Kameras und Licht minutenlang deutlich hörbar hin und her fuhren. Der Medienwissenschaftler Burkhard Poerksen fragte nur halb im Scherz, ob ihm gleich etwas auf den Kopf fallen könnte, während die komplett scherzhafte Frage, ob Herr Erdogan seine Finger im Spiel hatte, im Raum steht. Fast niemand lacht.
Zum Lachen ist einem schon etwas länger nicht mehr zu Mute. Das ist bemerkenswert, schließlich geht es in der Anne Will-Runde um Satire und die Frage, wo deren Grenzen liegen– und ob Jan Böhmermann selbige, mit seiner Erdogan-Schmähkritik verlassen habe. Die türkische Regierung stellte am Wochenende einen Strafantrag und brachte damit zusätzliche Brisanz in die Sendung.
Überall Dilemma
Was die gestrige Runde so relevant machte, ist dass sie jedes Dilemma der beteiligten Akteure aufzeigte. Elmar Brok, als argumentativer Advokat der Bundesregierung eingeladen, erfüllte diese Rolle nahezu perfekt. Zu seinem eigenen Leidwesen. Brok zeigte genau, wie unfreiwillig auf, wo es im Verhältnis Merkel-Erdogan zwickt und wie doppelmoralisch die Bundesregierung angesichts des Flüchtlingsdeals handelt. Angela Merkel, eingekeilt zwischen dem strategischen Partner Türkei, der sich menschenrechtlich, militärisch und außenpolitisch aufführen kann, wie die Axt im Wald und der öffentlichen Meinung im Land, in der Erdogan gerade dramatisch schlecht wegkommt. Trotzdem wird der türkische Präsident in der Böhmermann-Debatte von Merkel verteidigt. Komik ist in dieser Groteske Tragik in Spiegelschrift. Kaum vorstellbar, dass Merkel im Moment gerne in den Spiegel sieht.
Brok, der zwischenzeitlich und vor allem in Scharmützeln mit der linken Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen die Beherrschung verliert, zeigt aber auch den Bedeutungsverlust der Politik in den wichtigen Debatten der Republik. Er nervt, verliert sich im Kleinkariertem und hat kaum Substanzielles beizutragen.
Sevim Dagdelen zeigt zumindest, dass sie den nötigen Biss und die notwendige argumentative Beinfreiheit hat, die bei Brok quasi nicht vorhanden ist. Aber auch Dagdelen setzt zu viel auf Parteiengezänk, ist aber zumindest voll im Thema und lebt mit klarer Kante die Rolle als türkische Opposition im Exil.
Somuncu, der Libero
Eine Bundestags-Abgeordnete als türkische Opposition? Die Doppelrollen vieler Diskutanten fiel an anderer Stelle auch Anne Will auf. Als Serdar Somuncu die Deutsch-Türken in der Runde als Türken ansprach, gab Will zu bedenken, dass wohl alle in der Runde Deutsche wären. Somuncu entwaffnete die leicht schnippische Frage mit einer einfachen Wahrheit: „Wir sitzen hier, weil wir türkischstämmig sind.“ Die gebürtigen Deutschen am Tisch werden durch die Diskussion, die eigene Biografie und die trotzdem richtige Einladung der Anne Will Redaktion wieder zu Türken. Der Kabarettist Somuncu ließ sich von diesem Dilemma aber nicht weiter stören und agierte wie gehabt unbequem. Legte den Finger in die Wunde, driftete aber nie in Klischees ab. Er platzierte treffende, wie harte Spitzen gegen die deutsche, wie türkische Regierung und bezeichnete den türkischen Präsidenten als Fluch und Segen für die Türkei. Somuncu zeigte mehrfach, dass er völlig zu Recht als Satire- und Politik-Fachmann in der Runde saß und trieb die Runde in freundlicher Einheit mit einer wunderbar bissigen Anne Will immer wieder zur einen, wichtigsten Frage der Runde: „Ist Deutschland durch den Flüchtlingsdeal erpressbar geworden?“- Genau darum geht es.
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Das Hologramm des Präsidenten
Die Rolle des Erdogan-Vertreters nahm Fatih Zingal zunächst zögerlich, aber im Laufe der Zeit immer deutlicher ein. Der stellvertretende Vorsitzende der Union Europäisch-Türkischer Demokraten mimt den Erdogan-Lobbyisten mit Bravour, schmeichelt sich eloquent und pseudostaatsmännisch durch die Runde. Er wirkt aalglatt, doch die Maske rutscht mehrfach ab. Zingal tänzelt um Will´s kritische Rückfragen herum, verteidigt die katastrophale Lage der Meinungsfreiheit in der Türkei und versteigt sich als studierter Jurist zu fragwürdigen Relativierungen der Menschenrechtslage in der Türkei. Das nächste monströse Dilemma in der Sendung, sieht sich Zingal doch den rechtsstaatlichen Grundlagen seines Heimatlandes Deutschland verbunden. Nach dieser Sendung muss er trotzdem als Stimme von zumindest Erdogan-unkritischen Lobbyisten gelten.
Weitestgehend Dilemma-frei gestaltete sich der Abend für den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Die Fleisch-gewordene Metaebene ordnete in kurzen Statements geschickt ein und war ein engagierter Stachel in der Diskussion, manchmal etwas zu sehr verklausulierte, aber insgesamt zu kurz kam. Er kritisiert Böhmermann auf künstlerischer Ebene, aber legt sich trotzdem leidenschaftlich für sein Recht auf Satire, unabhängig von Geschmacks- und Rechtsfragen ins Zeug. Mehr Meta geht kaum.
Im letzten Neo Magazin Royale konfrontierte Böhmermann seinen Gast Anne Will mit einer Kritik an der Talk-Republik: „Man wirft ja Talkshows vor, dass immer nur die selben Phrasen kommen.“ Anne Will konterkarierte diese Kritik gestern mit einer bemerkenswert guten Polit-Talksendung. Und spätestens bei dieser besten aller Pointen, wirkte alles wie eine riesige Böhmermannsche Inszenierung.
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Schon irgendwie lustig, wie sich der Erdogan ein Eigentor geschossen hat. Würde er nicht so ein Theater um die ganze Sache machen, wäre sie mir gar nicht aufgefallen.
Jetzt interessiert sich die ganze Welt für diese „Satire“ und schaut sie sich an. Peinlich….
Was haltet ihr eigentlich vom Urheberrecht, konkret über die in §13 Urheberrechtsgesetz geregelte Urhebernennung?
Auch Fotografen haben einen Namen!
https://www.freelens.com/magazin-archiv/das-recht-des-fotografen-auf-namensnennung/
Davon halten wir sehr viel! Um welches Bild geht es dir denn genau? Um den Screenshot der Sendung oder um das Foto von Serdar? Letzteres wurde uns vom Management zur Verfügung gestellt, ohne weitere Infos.
Ich werde das aber noch mal mit dem Autoren besprechen, danke für den Hinweis.
Danke für den Hinweis. Wenn es um das Serdar-Bild geht: Das haben wir direkt von seinem Management, im Rahmen des zehn Mal Zwei-Interviews, vor einem halben Jahr erhalten. Beste Grüße, Julian
Als ich das kommentiert habe war da nicht zweimal der selbe Screenshot, sondern, wenn ich mich richtig erinnere ein Foto von Serdar aus der Sendung, offizielles, honorarfreies Pressefoto vom NDR, trotzdem muss der Urheber genannt werden. Vielleicht könnt ihr ja rekonstruieren was ihr wann ausgetauscht habt. Gruss Wolfgang
[…] Jan B. aus K. ist momentan Kurt Tucholsky der Mann der Stunde und geht auf Twitter rum wie ein gesponsertes […]
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