+++Breaking: Verfahren gegen Jan Böhmermann wegen Erdogan-Schmähgedicht eingestellt+++ Der Hofnarr – Böhmermann und die Staatsaffäre

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++++Verfahren eingestellt: Böhmermann kommt ungeschoren davon+++

War früher vielleicht doch alles besser!? Könige sonnten sich in Licht und Macht, die Rollen waren klar verteilt, die Regeln streng. Und doch gab es einen, der alles sagen durfte. In grauer Vorzeit war der Hofnarr der einzige, der dem König unverblümt sagte, dass er scheiße ist. Es war ja eh nur Spaß. Der Hofnarr als Grundfigur der Satire wird heute wie damals gebraucht, weil es einen mit einem Freischein geben muss. Einen, der alles sagen darf. Einen, der sich nicht um Ansehen, Ehre und Befindlichkeiten schert, wenn er nach oben tritt.

Wenn jetzt der moderne Hofnarr Jan Böhmermann wegen zu derben Scherzen zur Guillotine geführt werden soll, dann ist es auch die Absage an ein sehr altes Prinzip. Unter dem Schutz der Satire, der absurden Übertreibung und der Grenzgängerei muss möglich sein, was in anderen Kontexten nicht geht. Satire soll wehtun, muss Grenzen verletzen und diese neu verhandeln. Selbst die kleinste Einschränkung in das, was in der Satire gesagt werden darf, erschüttert das Vertrauen in das Mantra, dass alles gesagt werden darf. Das Unsagbare sagbar zu machen ist Aufgabe der Satire, aber sie darf nicht zum Selbstzweck verkommen und muss ihrerseits kritisierbar bleiben.

Frei nach Somuncu: Satire muss ein Pickel am Arsch der Zuschauer sein

Jede Satire ist ein Angebot an die Zuschauer. Man macht sich als Zuseher die Übertreibung zu eigen oder verachtet sie. Man entscheidet jedes Mal aufs Neue, ob etwas gelungen oder missraten ist. Die Debatte um die Richtigkeit der grenzensprengenden Zuspitzung ist in der Satire bereits enthalten. Gute Satire zwingt den Zuschauer zur Positionierung, selbst wenn das Ergebnis ist, sich nicht festzulegen. Oder die Satire zu kritisieren. Oder eine eigene Position zu entwickeln.

Deswegen müssen wir Böhmermann dankbar sein. Der Aufruhr der Medien, die Pushmitteilungs-Orgie der großen Medienhäuser hat ihren Ursprung in dem Angriff auf die Meinungs- und Satirefreiheit, der gerade stattfindet. Weil Medien die Einschränkung ihrer Freiheiten als Erstes spüren, reagieren sie entsprechend sensibel und stark, wenn diese Freiheiten bedroht sind. Deswegen das mediale Stopp-Schild, deswegen unsere Leidenschaft und Parteinahme für Böhmermann in der Debatte.

MEHR zum Thema: „Wie Jan Böhmermanns Saat im Talk bei Anne Will aufging“ von Julian Zwingel

Screenshot Sendung "Anne Will"

Kontext, Kontext, Kontext

Wie also Böhmermanns Satire kritisieren, ohne ihm oder, noch viel schlimmer, den Grundideen von Satire in den Rücken zu fallen!?
Wahr ist: Das aus dem Kontext gerissene Schmähgedicht gegen Erdogan richtet sich an den türkischen Präsidenten. An keiner Stelle an das gesamte türkische Volk.
Wahr ist aber auch: Angesprochen und beleidigt fühlten sich viele Menschen mit türkischen Wurzeln. Nicht nur Erdogan-Anhänger, sondern auch viele AKP-kritische Deutsch-Türken. Das liegt daran, dass im Schmähgedicht rassistische Stereotype enthalten sind, mit denen eine Realität geschaffen wird. Nicht missverstehen: Das muss alles kontextualisierbar und sagbar sein, aber genauso wie Medien sensibel auf staatliche oder rechtliche Eingriffe reagieren, schlagen von Rassismus betroffene Menschen bei diesem Thema als Erstes aus.

Das Gedicht, vom Medienwissenschaftler Bernhard Poersken, treffend als „Schmähsatire-Zwitter“ bezeichnet, reproduziert Stereotype, unabhängig von der Intention des Autors. Kein Mensch bei Trost würde Böhmermann unterstellen ein Rassist zu sein, doch nicht zum ersten Mal sieht sich das Neo Magazin Royale mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Das Laugengebäck-Video sorgte mit seiner Analogie von dunkler Haut und Brezeln für viel Kritik und Tarek von K.I.Z. ließ fast seinen Auftritt platzen, da er Böhmermanns Witze zur „Wunderbarer Neger“-Debatte daneben und unsensibel fand. Wenn sich wie in allen Debatten zum Thema Afrodeutsche, Deutsch-Türken und andere kritisch äußern, dann muss dieser Kritik Gehör verschafft werden. An dieser Frage, also der Fähigkeit, ziellose von pointierter Kritik zu unterscheiden, scheitern viele Medienschaffende. Zu viel Radau, zu viel Gefronte, zu wenig Zwischentöne. Das Neo Magazin mag mit dem Erdogan-Gedicht künstlerisch mit seinen eigenen Standards gebrochen haben, aber wenn es einen gibt, dem man zutraut, dass er sich der legitimen Kritik stellt, dann ist es Jan Böhmermann.

Im Zweifel für den Zweifel

Dazu gehört auch eine Sichtbarmachung des Zweifels und der Fallhöhe, was Böhmermann auf bemerkenswerte, im Medienfuror leider untergegangenen Art und Weise in der letzten Sendung inszenierte. Böhmermann als Feierabend-Alki, Findelkind und Abziehbild, in einem albtraumhaften Loop gefangen, während in drastischen Szenen eine Schicht nach der anderen abblättert. Noch dazu Emo-Posts bei Facebook mitten in der Nacht und davon abgesehen eine radikale No Post/Tweet-Politik. Eine abgesagte Sendung, Streifenwagen vor der Tür, Staatsaffäre. Kein Wunder, dass Böhmermann auf Tauchstation geht.

MEHR zum Thema: „Zeit-Loop, Albtraum, Anne Will“ von Flodoard Quolke
Jan Böhmermann

Wichtig ist der Weg raus aus der Sprachlosigkeit. Für das Publikum, für den Kanon der medialen Böhmermann-Zweitverwerter, zu dem auch wir gehören, und für Böhmermann selbst. Dazu gehört ein ernstes und offenes Wort zur legitimen Kritik an seiner Kunst und die trotzdem deutliche Absage an alle, die den Hofnarren hängen sehen wollen. Freiheit für Böhmermann!

Mitarbeit: Raphael Bennett

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