#rpTEN: Das Coachella der Kellerkinder & R.I.P. Snapchat

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Mit Festivalbändchen und Turnbeuteln auf dem Rücken steht man sich die Beine in den Bauch, um auf einen der großen Headliner zu warten. Wer hier in der Schlange steht, kann kein schlechter Mensch sein, denn man wartet hier auf niemand geringeren als den Justin Bieber der Generation 140 Zeichen: Edward Snowden.

Dieser ist zwar aus gesetzeslogistischen Gründen an sein Moskauer Exil gefesselt und deswegen nur per Skype zugeschaltet, aber das soll hier niemanden stören: Denn wir sind hier bei der re:publica, das hier ist das Internet. Und das ist post-vis à vis.

Das hier ist nicht nur ein Klassentreffen, es ist der versammelte Gegenentwurf zum Digital Detoxing.

Es ist das Coachella der Kellerkinder.

Vorne wird über Hatespeech diskutiert, hinten schreit ein Baby. Auch bei der re:publica ist Berlin immer noch Berlin.

Und wie immer wird die re:publica auch im Jubiläumsjahr von einer Angst dominiert. Waren es in den letzten Jahren noch allseits bekannte Feindbilder wie die NSA, Edmund Stoiber oder die Samwerbrüder, ist die diesjährige Angst vor allem ein Beweis dafür, dass die Konferenz auch (oder vornehmlich?) von der „alten Schule“ besucht wird.

Die Angst: Was, wenn Snapchat der erste neue Trend wird, den „wir“ nicht mehr mitmachen? Oder noch schlimmer: Nicht mehr verstehen?

Diese Angst war nicht zuletzt daran sehr deutlich zu erkennen, dass alle vier(!) Sessions zum Thema ‚Snapchat‘ vollkommen überfüllt waren, sondern auch, dass für die Session „Snapchat für Erwachsene“ ein 14-jährigen Schüler eingeladen war, um ihn – natürlich per Videoschalte – erklären zu lassen, dass wir „Alten“ doch bitte nur eins tun sollte: Snapchat vermeiden.

So werden sich die Social Media-Manager dieser Welt dieses Proseminar zwar nicht vorgestellt haben, andererseits: Auf die Frage, wie Marken sich bei Snapchat präsentieren könnten, hatte der Penäler auch keine Antwort parat. Verdammte Experten aber auch immer.

Zur Einordnung: Alleine Sascha Lobo hat in seiner Rede zur Lage der Nation, die nach eigener Aussage ganz sicher keine war, „The Age of Trotzdem“, über 15-mal das Wort Snapchat in den Mund genommen.

Jetzt ist also der Moment gekommen, in dem unsere Eltern uns fragen könnten, wie man dieses Snapchat bedient und ob diese schleckende Hundenase über ihren Gesicht tatsächlich alles ist. Sorry, Mama: Ja, vermutlich. Snapchat ist tot.

Sascha Lobo war es auch, der das Publikum in seinem Vortrag mehrfach dazu aufforderte, ihm „TROTZDEM!“ entgegen zu brüllen.

Wieso ich da nicht mitmachen wollte? Nun ja. Äh. Trotzdem.

Den größten Anfall von „trotzdem“ hatten wir dann, als wir bei der ersten Session des Folgetages die erste Reihe mit „reserviert“-Schildern belegten, um zu schauen, wie sehr die re:ps von Lobo gelernt haben – und wie ‚trotzdem‘ sie alle wirklich sind. Die traurige Gewissheit: Die Plätze sind den Tag über weitgehend freigeblieben. The Rausch of Trotzdem.

#rpTEN: Das Coachella der Kellerkinder & warum Snapchat tot ist

Die zehnte re:publica sollte auch die Erste werden, die nicht ohne kleinen Shitstorm daherkommt. Weil ein Raclettestand das gesamte Gelände in eine olfaktorische Käserei verwandelte, haben die Organisatoren kurzerhand beschlossen, ihn (übrigens mit Kompensationszahlungen) nach Hause zu schicken.

Das Verständnis des Racletteurs hielt sich derweilen in Grenzen: Wutentbrannt postete er auf Facebook (mit der tatsächlichen Bitte, den Post auf Twitter zu teilen), dass er nicht verstehen kann, wie der „Veranstalter eurer sozialen, alternativen Veranstaltung uns […] verbannt – aufgrund des Geruchs. Offenbar ist […] Geruch von totem Tier besser als der Geruch des Käses von glücklichen Kühen“.

Die Solidarität war unermesslich, der Hashtag #RIPlette ist getrendet, die Community ist in den Käse gesprungen und hat Genugtuung gefordert.

Die einzige echte Folge des gesamten Spektakels? Leopold der Raclettebetreiber hat sich jetzt auch bei Twitter angemeldet.

Der größte Trend zwischen „Trotzdem“ und „Snapchat“ war (auch) 2016 der Zauber der VR-Brillen. Haben wir uns in den letzten Jahren noch die Kinnbärte gekrault und gefragt, wer sich so eine überteuerte Brille kauft, um Ballspiele und Pornofilme direkt vor das Gesicht zu schnallen, ist in diesem Jahr kein Stand ohne ausgekommen. An jeder Ecke zwischen Google und ZDF gab es die Gelegenheit, sich in einen anderen virtuellen Wald zu stellen. Während die Gäste drumherum bewunderten, wie hampelmännig man aussieht, wenn niemand sieht, was einem vor die Augen geworfen wird.

Das Ergebnis: Virtual Reality ist das neue 3D. Und wie groß das noch werden wird, sieht man ja vor allem auch daran, wie gerne wir mit unseren Brillen vor dem Fernseher sitzen.

Apropos alte Schule: Mir ist Andreas Türck entgegengekommen. Und während sich mein 90er-Ich schon die Haare zurechtlegte, um für das Selfie gutauszusehen, fragte mich mein 2016er-Ich nur: „Wer?“. Übrigens: Gesnappt hat er nicht.

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