„Oh mein Gott! Der Iran!? Als junge Frau? Haben die da überhaupt Internet?“ – nur eine von vielen Reaktionen meiner Freunde, als ich ihnen erzählte, was ich vorhatte. Es ist komisch, was für ein Bild der Iran in der westlichen Gesellschaft hat. Als würden dort täglich Bomben fliegen und die schwarzen Fahnen des IS wehen. Weit gefehlt. Was dort weht, sind höchstens die schwarzen Burkas im Wind, wenn die Frauen sich trauen diese mitten in der Wüste auszuziehen. Denn hier, da sind sie sich (fast) sicher, gibt es keine Polizei und keinen Geheimdienst. Der heiße Boden brennt unter den Füßen und die Augen tränen. Bei den einen, weil der Wind den Sand in die Augen treibt, bei den anderen, weil sie dieses Bild der Freiheit so intensiv und emotional wahrnehmen. Ich dachte immer, Freiheit kann man nicht sehen sondern nur fühlen. Aber hier, wenn die Mädchen sich die Tücher vom Kopf reißen und zu der verbotenen, heiteren Musik tanzen, kann man Gefühl und Sichtbares nicht mehr trennen.
Dieses Bild kann man wohl als Sinnbild für meine gesamte Reise sehen. Die kleinen Momente der Freiheit, wie das heimliche Trinken unter der Brücke, das Hören amerikanischer Musik im Auto, die verstohlenen, wie zufälligen Berührungen der Hände. All das ist so intensiv und so verdichtet, dass man noch lange davon zehren kann. Aber auf Dauer reicht das eben nicht. Im Iran groß zu werden, ist wie mit einer gespaltenen Persönlichkeit auf zuwachsen. Das wird durch die Instagram Profile der vielen jungen Menschen, die ich dort traf, gut visualisiert.
Neben mir steht ein Mädchen- Fardis. Alles an ihr ist schwarz, die Augen, ihre Fingernägel und das Gewand, das fast alles von ihr verdeckt. Als sie mir ihr Instagram Profil zeigt, erkenne ich sie kaum wieder. Bunte Miniröcke, High Heels und herausgestreckte Zungen. All das, was in der Öffentlichkeit verboten ist. Ich denke: „Sie ist eben auch nur ein „ganz normales“ Mädchen.“ Natürlich ist sie das, warum auch nicht? Sie ist 16 Jahre alt und wenn sie groß ist, will sie Astronautin werden. Da müsste man auch kein Kopftuch tragen- dank Astronauten Helm.
Es ist leicht, mit Iranern in Kontakt zu kommen, aber nicht ganz so ungefährlich. Es gibt Schulungen vom Geheimdienst für das Hotelpersonal. Zu intensive Kontakte zwischen Einheimischen und Ausländern sind suspekt und sollen gemeldet werden. Aber so selbstbewusst und neugierig, wie man eben als deutscher Tourist ist, der „seine Rechte“ kennt, unterhält man sich dann doch kritisch mit den Menschen. Dumm nur, wenn dabei die Empfangsdame die Ohren spitzt. Und plötzlich wechselt man wie von selbst die Straßenseite, wenn man einen Polizisten sieht. Vier Männer in einem dunklen Auto, ein Versteck auf einem Dach und eine Drohne über meinem Kopf später, hat sie es auch bei mir geschafft, diese Decke aus Paranoia und Angst, die sich einem auf die Schultern legt. Aber damit leben sie hier eben alle.
Die Reise geht weiter. Von Teheran nach Esfahan, Toudeshk, Yazd und Kashan. Mit dem Auto- crazy enough. Straßenschilder sind zwar auch auf Englisch, aber eher Dekoration. Oder sie zeigen Bilder der Märtyrer aus dem Irak- Krieg. Doch es lohnt sich- diese kleinen Szenerien im täglichen Straßenbild, die da an einem vorbei fliegen. Das Geräusch, das es wohl am tiefsten in mein Gedächtnis geschafft hat, ist das, der quietschenden Bremsen des Autos, das eines Tages mitten auf der Straße neben uns hielt. Da spürte ich sie dann wieder- die Decke der Angst vor dem Geheimdienst, die immer irgendwie da war. Umso größer war dann die Erleichterung, als da einfach nur drei aufgeregt kreischende Schulmädchen heraussprangen, die unbedingt ein Selfie machen wollten. Als wäre man Miley Cyrus. Ich glaube die Iraner haben genauso viele Vorurteile gegenüber dem Westen, wie der Westen gegenüber dem Iran. Mit dem minimalen Unterschied, dass die Vorurteile uns gegenüber mit dem Geschmack von Freiheit, Glück und offener Meinungsäußerung gespickt sind. Alles erst mal positive Attribute. Und genau hier liegt das Problem. Das, was an westlicher Kultur im Iran (über einen Proxy Server- versteht sich) ankommt, sind eben Happy-Hollywood-Endings, coole Musikvideos und die dadurch vorgegaukelte Freiheit. Klar, dass da nicht viel Begeisterung für die eigene Kultur, mit Musikverbot und stickigem Kopftuch in den Köpfen der Menschen bleibt. Ein Imam sagte zu mir „Wissen Sie, warum wir eben so viel Angst haben, die westliche Kultur hier herein zu lassen? Ihr Wissen, was digitale Führung und digitale Diktatur angeht, ist da oben (er deutet auf den Himmel) und im Vergleich dazu, sind wir hier unten (und deutet auf den Boden). Wir wären komplett überfordert und innerhalb kürzester Zeit würde unsere gesamte Kultur verfallen, denn der Reiz des Neuen wäre viel zu groß um noch am Alten fest zu halten.“
Und da hat er Recht. In den Köpfen der Jugendlichen aber, hat schon längst eine Revolution begonnen. Und es ist schon fast zu spät, eben dieser Generation auch die Vorteile einer interdependenten Gesellschaftsform zu vermitteln. Denn die westlichen Einflüsse werden früher oder später eben nicht nur noch in Tröpfchenform im Iran ankommen, sondern wie eine Welle heran rollen und dann werden sie brechen, die harten Mauern. Besser wäre es also, flexibel zu sein, sich biegen und neigen zu können, ohne zu brechen, so wie Bambus.
„Hier gibt es viele Muslime- aber keinen Islam.“, sagte ein Mann aus einem kleinen Wüstendorf zu mir. Weil der Schleier der Religion eben hauptsächlich für restriktive Machtausübung und Angstmache genutzt wird, kommen die wirklichen „islamischen Werte“ schon lange nicht mehr in den Herzen aller Menschen an.
Die Kultur kann eben nur dann aufrechterhalten werden, wenn sie die Menschen in sich tragen und nicht durch Vorschriften und Verbote aufgezwungen bekommen. Dann wird sie auch weiterhin Bestand haben und auch in der starken Welle bestehen bleiben.