Erfahrungen aus der Berliner Blase

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Als jemand, der schreibt und seit Jahren im Szenebezirk Friedrichshain wohnt, scheine ich ein Feindbild für rechte “besorgte Bürger” zu sein. Immer wieder lese und höre ich den Vorwurf, wir würden ja in einer “Blase” leben und keine Ahnung von der “realen Welt” haben. Generell regt mich das auf, gerade wenn das von Leuten kommt, die behaupten, Flüchtlingen würden besser behandelt als Deutsche, oder die meinen, Deutschland stehe kurz vor der großen Islamisierung. Das stimmt nämlich faktisch nicht und lässt sich nur glauben, wenn man selbst in einer Meinungsblase lebt, in der die Welt nur extrem selektiv wahrgenommen wird. Was ich aber zugebe ist, dass wir hier tatsächlich in einer Art Blase leben: Hier haben Grüne und Linke zusammen bei den Landtagswahlen über 50 Prozent der Stimmen erhalten. Im Gegensatz zur schwäbischen Kleinstadt in der ich aufgewachsen bin, duzen wir uns hier und streiten auf Augenhöhe. Hier ist es auch “normal”, dass man schon in einigen anderen Ländern gelebt hat und dass man recht belesen ist. Die meisten hier üben irgendeine Kunst aus: Sie schreiben, machen Musik oder sie organisieren wunderschöne Parties.
Die “Blase” besteht darin, dass wir hier eher liberal und links eingestellt sind. “Besorgte” nennen das “linksrotgrün versifft”. Hier ist es üblich über ganze Wochenenden feiern zu gehen und der Meinung zu sein, dass Männer und Frauen genausowenig gegensätzlich sind, wie es Katzen und Hunde sind. Hier schminken sich manche Männer die Augen und Lippen, und niemand findet das falsch. Entweder ist es gut so, oder es ist eben die Sache dieser Person. Wir lieben hier die Differenz und das Verrückte, wenn ich das in meinem Lokalpatriotismus so verallgemeinern darf.

„Weltoffene No-Go-Area“

Gleichzeitig ist diese “Blase” eine der weltoffensten Orte Deutschlands. Warum glauben Leute, die aus einer Kleinstadt kommen, und Menschen aus anderen Ländern nur aus dem Fernsehen oder irgendwelchen Hetzartikeln kennen, eine realistischere Einschätzung davon zu haben, wie die Leute woanders sind, als wir, die wir alltäglich mit ihnen zu tun haben?
Nicht selten lässt sich der Kaffee hier ohne Englischkenntnisse nur mit viel Mühe bestellen. Ich spreche so viel Englisch, mit meinen Nachbarn aus Israel und aus Holland, mit meiner Mitbewohnerin aus Sidney, dass ich mich neulich dabei “ertappt” habe, auf Englisch zu zählen.
Wir verkehren ständig in Gegenden, die von hysterischen “Besorgten” als “No-Go-Areas” bezeichnet werden. Gegenden wie Neukölln und Kreuzberg, voll von angeblich gefährlichen “Arabern” und “Türken”, wo aber die Mieten derzeit massiv steigen, weil so viele Menschen hier herziehen wollen. Ist das nicht merkwürdig, dass alle da hin wollen, wo angeblich nur Gewalt und Kriminalität herrscht? Die Erklärung für dieses Rätsel ist einfach: Es stimmt nicht. Zwar gibt es in Berlin etwas rauhere Ecken, aber von No-Go-Areas zu reden ist Quatsch.

Weil es sich vom Schreiben schlecht leben lässt, arbeite ich unter anderem in einem Klub in Kreuzberg als Türsteher (wie so viele von uns in Klubs und Bars arbeiten). Und zwar nicht im grünen Smoothie-Kreuzberg an der Bergmannstraße, sondern am harten Schlesischen Tor. Auch eine angebliche “No-Go-Area”.
Als Türsteher sorge ich dafür, dass freundliche Parties gefeiert werden können: Ohne Grabscher, ohne Leute, die unverschämt baggern und ohne Leute, die sich prügeln. Wenn die hysterischen Vorstellungen der “Besorgten” war wären, müsste ich doch ständig mit irgendwelchen südländischen Männern zu tun haben, die Ärger machen. Das ist aber nicht so.

Racial Profiling ist hier gar nicht nötig

Das Schlesische Tor ist eines der Partyhotspots der Welt. Von überall her kommen Leute um zu feiern: Aus Spanien, Holland, aus Chile und aus der Türkei. Ich würde auch lügen, wenn ich behaupten würde, dass unter denen, die Ärger machen nicht auch Südländer wären. Es gibt bestimmte Gruppen, die sich auch als “nordafrikanisch” oder ähnliches bezeichnen lassen, die organisiert stehlen. Die versuche ich zu erkennen, und das ist mitunter schwierig, weil der Klub schlicht halb leer wäre, würde ich jeden Mann mit etwas dunklerer Hautfarbe nicht hineinlassen würde. Außerdem wäre das verwerflich. Aber so eine Art von Racial Profiling ist auch gar nicht nötig. Wenn jemand an meine Tür kommt und hinein möchte, versuche ich abzuschätzen, was das für einer ist. Der Trick ist der, die Körpersprache zu beobachten. Leute, die Ärger machen, wirken meist angespannt. Ich frage sie dann ein wenig aus. Ob sie wissen, was das für eine Party ist. Vielleicht auch, wo sie gerade herkommen. Leute, die Ärger machen, reagieren darauf meist schon gereizt. Dabei ist zu beachten, dass Männer mit dunkler Hautfarbe sehr oft abgewiesen werden. Unterhält man sich aber auf eine Weise mit ihnen, die ihnen nicht das Gefühl gibt, störender Abfall zu sein, zeigt sich bei den meisten, dass sie ganz normale Leute sind. Den größten Ärger hatte ich einmal mit einem sehr kleinwüchsigen, blonden jungen Mann. Ihm passte nicht, dass ich ihm Fragen stellte und redete sich mit der Zeit immer mehr in Rage. Dabei fiel ihm ein Messer aus der Tasche. Ich rief sofort die Polizei, die auch sehr schnell da war.

Letztes Sylvester wurde ich angespuckt, von einem jungen Kerl, der wohl Migrationshintergrund hatte. Ich blieb ruhig, bekam dafür eine Zulage und schickte den Spucker mit Hilfe seines Freundes weg, der selbst (trotz Migrationshintergrund) überhaupt keine Lust auf Ärger zu haben schien.
In der Regel sind die Partygänger in Kreuzberg aber recht freundlich und ich kann bis auf die angesprochenen Gruppen von Taschendieben keine Unterschiede zwischen den “Ethnien” erkennen. Und dass es die gibt, lassen sich durch Milieubildung und schlichte Angepisstheit auf Grund ständiger schlechter Erfahrungen besser erklären, als durch irgendeine nationale Volkskultur oder Religion. Müsste ich eine Regel aufstellen, ist eines klar: Es sind junge Männer, die zur Empfindlichkeit neigen und glauben, sich nichts gefallen lassen zu können. Aber auch hier gilt, dass die meisten nett und friedlich sind.
Ein guter Türsteher sollte immer wachsam sein. Und das scheint mir gut zu gelingen, weil nur selten Ärger gemacht wird. Was auffällt: In jeder “Gruppe” gibt es verschiedene Typen: laute und leise, aufbrausende und ruhige, empfindliche und weniger empfindliche. Aber das ist selbstverständlich nur ein Erfahrungsbericht aus unserer berliner Blase. Ich behaupte aber, dass diese Blase in der Regel ein realistischeres Bild ermöglicht, als an anderen Orten in Deutschland.