Es muss Ende 2015 gewesen sein, als ich via YouTube zum ersten Mal die Kriegserklärung „Ich ficke deine Mutter ohne Schwanz“ vernahm. SXTN starteten durch, zwei Mädels mit erstaunlich dicken Eiern. Sie lieferten ein ausgereiftes Rundumpaket an Asozialität, Überspitzung und Provokation in einem, und das war das Besondere, eigentlich typisch männlichen Gefilde, das nach männlichen Spielregeln funktioniert: Der deutschen Hip-Hop-Szene. Es war klar, dass Nura und Juju die kritischen Gemüter bedingungslos spalten würden und das nicht nur innerhalb der Rapszene … Was daran feministisch ist und warum wir uns immer an einer männlichen Ordnung orientieren, versucht dieser Text anzubahnen.
Eins vielleicht kurz vorweg: Als junge, in Berlin-Kreuzberg lebende Frau, nehme ich fast täglich verschiedene Ausformungen feministischer Perspektiven wahr, sowohl im Freundeskreis, als auch im öffentlichen Raum. Es gibt jene, die sind seit Millionen von Jahren hier und lassen sich einfach nicht integrieren. Sie sind gute Freundinnen, sisters in crimes, Kolleginnen und ganz nebenbei und wenn auch eher inoffiziell, starke Feministinnen, die männliche Gewalt gegenüber dem vermeintlich schwächeren Geschlecht anprangern und keinen Bock haben, sich Ungleichheiten und Klischees zu ergeben. Es finden sich aber auch Feministinnen, die meinen allein über Sprache und Anfeindungen gegenüber dem anderen Geschlechts ihr Bild vom einzig wahren Feminismus durchzusetzen. Dadurch wird ein Sonderstatus provoziert, den Frauen, bewusst oder unbewusst als scheinbaren Akt der Emanzipation mittragen. Dieses Phänomen ist auch in der Rapmusik zu beobachten: Frauen grenzen sich ab, machen nicht nur auf ihre geschlechtsbedingten Nachteile aufmerksam, sondern begeben sich zudem oftmals in eine Opferrolle im Abseits.

Um unter anderem die künstlerische Verwirklichung von Frauen unbedingt sichtbar im Mittelpunkt des Geschehens voranzutreiben, versuchte bereits die sich in den 1990er Jahren entwickelnde Riot-Grrrl-Bewegung, Ungerechtigkeiten und Klischees auf dem Spielfeld der Musikszene und insbesodere in der Populärkultur aufzubrechen.
Zurück zu SXTN: Zwiegespalten waren den Beobachtenden der ersten Stunde die Schamröte ins Gesicht geschrieben. Es ließ sich die Begeisterung auf der einen Seite, sowie die Entrüstung auf der anderen nicht leugnen. Die Sache polarisierte.
Verblüffend waren insbesondere die Töne, die aus dem Hip-Hop-affinen Teil meines Freundeskreises laut wurden. Jahrelang hatte man gemeinsam Haftbefehl oder die 187 Straßenbande mehr oder weniger unkritisch abgefeiert. Auf einmal erhoben sich die Stimmen und behaupteten, SXTN seien sexistisch. Neben „Fotzen“-, „Nutten“- und „Biatch“-Punchlines hätten sogar nackte Ärsche in ihren Video gewackelt, ein untragbares NoGo.
Eigentlich wird ja immer behauptet, Hip-Hop stünde in der Tradition der Battlerap, da gebe es eben kaum Grenzen. Im Gegenzug stellt sich mir dann jedoch die Frage, wie man SXTN auf der einen Seite in die Mangel nehmen kann und gleichzeitig ein Künstlertum von Shindy bis Kollegah, von Fler bis zu Farid Bang, Mert oder Bass Sultan Hengzt huldigt. All diese Leute machen keinen Hehl daraus, dass die Existenzberechtigung von Frauen nach ihrer Auffassung in ihrer „Saftigkeit“ liegt … Doppelmoral as it‘s best! (Salwa Houmsi)
Besonders von Frauen wurde auch auf den untypischen Verbalradikalismus, anzügliche Videos und eine unangebrachte Selbstdarstellung, die auf Dummheit und Oberflächlichkeit schließen lasse, verwiesen. Schließlich hätte man ein Sprachrohr in der Öffentlichkeit und sollte dieses auch zu nutzen wissen. Die Viktimisierung von Frauen reproduziert allerdings den passiven Status innerhalb der männerdominierten Ordnung. Von der Opfer-Perspektive sich zu lösen, bedeutet, sich dem Empowerment-Diskurs zuzuwenden. Empowerment wird wörtlich übersetzt mit (Selbst-)Ermächtigung. Die feministische Theorie und Praxis zielt auf Freiheit zur Selbstbestimmung ab. Und wenn die Selbstermächtigung gerade darin liegt, sich asozial, aber auch kämpferisch und der Gesellschaft gegenüber unangepasst zu benehmen, dann ist das eben auch eine Form von weiblicher Emanzipation.
Natürlich wird sich dabei an einer männlich geprägten Kultur orientiert. Waren es nicht zuerst und ausschließlich Männer, welche in ihren Texten von Nutten, Bitches und co. erzählten und mit Champus und Geldbatzen in diversen Musikvideos Parties simuliert haben, von denen du nur träumtest? Die ganze Gesellschaft ist danach ausgerichtet: Jungen und Männer bilden die Norm, nicht nur im Hip Hop. Die alte patriarchale Gleichung Mensch=Mann und Frau=Abweichung wird mit der einseitigen Anpassung von Mädchen und Frauen an die männliche Norm reproduziert. Ob diese Norm erstrebenswert ist und fortgeführt werden sollte bleibt in diesem Text unbeantwortet.
Nichtsdestotrotz ist es gerade dieses Verhalten der Fotzen, das eher an typisch männlicher Ausschweifungen erinnert, warum sie zum Teil verstören, wenn nicht sogar verängstigen? Auf einmal sind es Frauen, die zeigen „Wir sind asozial und geil, ihr seid nur asozial“ und ganz nebenbei nicht nur in den Charts so manch richtigem Kerl den Rang ablaufen. Das Schöne an SXTN ist, dass sie sich nicht mal zwanghaft darum bemühen ein Vorbild zu sein – ganz im Gegenteil… aber junge Frauen können sich mit ihnen identifizieren. Es ist authentisch, wenn Juju darauf verweist: „Nur ich selbst darf mich Fotze nennen“ und dabei ohne erhobenem Zeigefinger oder visueller Abgrenzung durch betonte Unweiblichkeit Vorbild für junge Mädchen und Frauen ist. Fotzen à la Juju und Nura lassen sich nicht aufhalten oder abdrängen, sondern verteilen mit viel Spaß und Power unbequeme Kampfansagen, sodass die Inhalte aus einem „Er will Sex“ dann halt als moderne Variante von „No means no“ verstanden werden kann. Teile der Riot Grrrl Bewegung der 1990er erstrahlt in Gestalt der Fotzen 2017 im neuen Glanz. Thank you so much, i appreciate that.