Kein guter Saisonstart für die Straßenbande 187: Seit Anfang Mai häufen sich die Negativ-Schlagzeilen, und eine Debatte über sexistische und gewaltverherrlichende Weltanschauungen, die sich bei manchen Rappern anscheinend (was für eine Unterraschung) nicht nur auf die Texte beschränken, wurde vor allem in den sozialen Netzwerken in den letzten anderthalb Wochen beherzt geführt. Nun folgt aktuell die Meldung, dass Gzuz im letzten Jahr eine Festival-Besucherin des Splash! belästigt haben soll. Anlass, um nun mit einer tiefergehenden und längerfristigen Problematisierung von Sexismus und diskriminierenden Tendenzen im Hip Hop zu sprechen? Dankenswerterweise stand Moderatorin und Journalistin Salwa Houmsi uns noch kurz vorm Wochenende Rede und Antwort. Sie hat bereits 2017 sexistische Strukturen im Hip Hop-Business und auch der Rap-Rezeption kritisiert – betont aber, dass Sexismus nicht nur dort, sondern in der Gesamtgesellschaft zuhause ist.

Salwa Houmsi im Interview

Liebe Salwa, lange Zeit wurde so getan als wäre Sexismus bei weißen Rappern kein Problem, sondern wenn überhaupt ein Vehikel für besonders raffinierte Kunst, obwohl Künstler wie zum Beispiel Cro immer mal wieder für problematische Texte kritisiert wurden. Ändert sich das jetzt?

Sexismus ist kein Problem von Rap allein, aber hier wird er immer wieder offen zelebriert und damit eben auch geduldet und legitimiert. Wie häufig ich mir von Rapfans in Diskussionen über Sexismus im Deutschrap anhören musste „das ist nur ein Stilmittel“ oder „im Battlerap ist alles erlaubt“. Das ist einfach nur absurd – vor allem natürlich, wenn man sich mal damit auseinandersetzt, wofür Hip Hop als Kultur ursprünglich mal stehen wollte: Dafür, dass jeder und jede hier gleich ist und sich eine Bühne erkämpfen kann, egal woher er oder sie kommt. Das ist so ’ne hübsche Idee von HipHop, die aber natürlich null reell ist. Weil faktisch hast du erstmal die Arschkarte, wenn du ’ne Frau bist oder jüdischen Glaubens oder schwul, trans, undsoweiter. Es gibt kein Argument der Welt, das Diskriminierung rechtfertigen sollte.

Wir Rapfans fordern doch so gerne, Rap soll „real“ sein. Ja, dann müssen wir auch damit rechnen, dass Rap real ist. Die Misogynie, welche so viele unter dem Deckmantel „Kunstfreiheit“ verteidigen (und damit legitimeren!) ist echt. Hass ist kein Stilmittel. Für uns Frauen ist das eine Realität.

Dass der Umgang sich mit solchen Künstlern jetzt wegen einer kleinen Twitter-Debatte schlagartig ändert, wage ich stark zu bezweifeln. Dafür müsste sehr viel mehr passieren. Alle Beteiligten müssten zu spüren bekommen, dass misogynes Verhalten nicht geduldet und gefördert wird – es müsste harte Konsequenzen geben. Solange da nirgendwo derartige Zeichen gesetzt werden, wird es die meisten nicht interessieren.

Was denkst Du, was muss getan werden, damit das Thema nicht wieder verpufft? Haben wir nun die Chance auf eine längerfristige Debatte?

Eine Debatte, wie die, die wir hier gerade führen ist natürlich längst überfällig. Deswegen muss jetzt dafür gesorgt werden, dass es nicht bei ein paar Artikeln und Tweets bleibt, sondern dass sich dieses Thema längerfristig in die Köpfe aller einbrennt und Täter*innen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir müssen aufhören, mutmaßliche Missbrauchstäter*innen weiter zu heroisieren, nur weil uns ihre Kunst am Herzen liegt. Niemand hat gesagt: „Setzt Gzuz & Co. auf den Index“ – aber es muss möglich sein, eine Diskussion darüber anzuregen, inwiefern wir solchen Menschen eine Plattform geben wollen. Und dabei sehe ich nicht nur die offensichtlichen Enabler*innen (zuständige Booker*innen, Manager*innen, Label-Menschen) in der Verantwortung, sondern eben auch die Fans. Konzerttickets oder Alben von mutmaßlichen Missbrauchstäter*innen zu kaufen, unterstützt misogynes Handeln finanziell.

Ein gutes Beispiel dafür ist R. Kelly: Es ist bekannt, dass er pleite ist. Geld für seine Konzerttickets fließt also quasi direkt in das Portemonnaie, mit welchem er weibliche Ankläger*innen stummschaltet – das ist in den USA mit einer außergerichtlichen Einigung ja möglich und im Falle R. Kellys auch passiert. Sei es, hier in Deutschland, nur Geld für Schadensersatz – Fans sollten sich einfach bewusst machen, was sie mit ihrem Geld am Ende unterstützen und ob sie das wirklich wollen. Musik ist so etwas Emotionales für uns, ich verstehe total, dass es unfassbar schwer fällt, sich aufgrund solcher Vorwürfe von Künstler*innen zu trennen. Aber vielleicht reicht es ja auch einfach, sie zuhause zu hören.

Abgesehen davon gibt es einige große Festivals, auf denen Bonez & Gzuz dieses Jahr spielen. Die Veranstalter*innen sollten sich dort auch mal die Frage stellen, ob sie wirklich Künstlern eine Bühne geben wollen, die sich in ihren Instagram-Stories über Gewalt gegenüber Frauen öffentlich lustig machen. Mit derartigen Posts empowern diese Rapper ja auch ihre Fans, sich genauso zu verhalten – immerhin sind sie potentielle Vorbilder. Festivals buchen damit also nicht nur diese Künstler, sondern auch Fans, die bereit dazu sind, sich an ihnen ein Beispiel zu nehmen. Nicht der angenehmste Space für junge Frauen, die ein Festivalwochenende genießen wollen, oder?

Ein weiterer Aspekt, den ich Veranstalter*innen diesbezüglich ans Herz legen möchte: Kümmert Euch darum, dass sich Euer weibliches Publikum sicher fühlt. Stellt Awarness-Teams auf, die sichtbar und ansprechbar sind.

Abgesehen davon glaube ich, dass diese Debatte nur dann wirklich nachhaltig sein kann, wenn sie sich nicht auf Rap konzentriert. Wer davon ausgeht, dass Misogynie ein Problem von HipHop ist, ist verdammt naiv. Die #MeToo-Debatte hat in Deutschland nicht ausreichend Konsequenzen mit sich getragen. In den USA wurden so viele Täter öffentlich outgecalled und damit zur Rechenschaft gezogen – hier waren das viel zu wenige. Misogynie ist in unseren gesellschaftlichen Strukturen fest verankert, und um sie zu bekämpfen, müssen wir in alle Bereiche schauen und nicht nur in die Rap-Landschaft. Vielleicht ist ja jetzt ein guter Zeitpunkt nochmal darüber zu sprechen, warum die mächtigen deutschen Männer im Show- und Medienbusiness bisher von den Konsequenzen der #MeToo-Debatte verschont geblieben sind!

 


Female Festival Task Force

(Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit der Redaktion der Female Festival Task Force.)