BANTU 2020 Adé Bantu
BANTU (Pressephoto (c) 2020 Uche James Iroha)

Fangen wir das Review mal anders an. Die zehn besten Special Effects auf BANTUs exzellentem Afrofunk-Album sind:
1. das Klatschen bei der Textstelle „don’t clap“ (1‘23‘‘) und das Lachen bei „don’t laugh“ (1‘27‘‘) im Opener „Animal Carnival“,
2. die Collagen-Atmo mit Protestrufen von einer Demonstration im Intro zum ekstatischen „Disrupt The Programme“,
3. das unnachahmliche Sopransaxophon-Mini-Solo in „Water Cemetery“ (1‘39‘‘),
4. das Breakbeat-Percussion-Riff in „Cash And Carry“ (3’06’’-3’11’’ in der Audio-Fassung),

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5. die traumartige Underwater-Jazz-Sequenz in „Jagun Jagun“ (ab 2‘11‘‘),
6. das Wechselspiel zwischen mehreren Stimmen in Call-and-Response-Manier („Killers And Looters“),
7. die textliche Polemik („the survival of the fittest from North to South“) im Egoismus-kritischen „Me, Myself and I“,
8. der crémige Mellow-Flow in „Man Know Man” samt zarter Referenz an die künstlichen Geigen-Anstriche im Acid-House (2‘07‘‘-2‘14‘‘, 2‘56‘‘-3‘04‘‘),
9. die surreal-funkigen Keyboard-Loops im sonst recht straighten, auch politisch warnenden „Big Lie“ (2‘41‘‘-2‘58‘‘), die in ihrer 90er-Haftigkeit an Jamiroquai erinnern,
10. eine aus dem Nichts eingeflochtene Spoken Word-Passage am Ende des Albums in „Yeye Theory“: Eine prägnante männliche Stimme macht in den letzten 24 Sekunden eine nachdenkliche Ansage über „madness“ und „commercialism“.


Lauter Details, die für die Platte „Everybody Get Agenda“ und all ihre einzelnen Tracks sprechen. Die Macher sind Profis, mit über 30 Jahren Erfahrung. Ins Jahr 1989 datiert die älteste Twelve-Inch des Chef-Denkers dieses 15 Leute starken Kollektivs, Adé Bantu. BANTU steht zugleich als Akronym für mehr als nur den Namen des Wahl-Kölners. BANTU = Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity.

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Adé „Bantu“ Odukoya lebt irgendwie in Köln und in Lagos. Von der nigerianischen Stadt bezieht er seine Inspirationen. Schätzungsweise 24,5 bis 25,5 Millionen Einwohner*innen umfasst der Metropolraum dieser Megacity aktuell Ende 2020, bei solchen Ausmaßen spielt eine Million hin und her an Unschärfegrad schon kaum mehr eine Rolle. Gut acht Millionen Leute wurden beim letzten Zensus gezählt, 2006, dem Jahr übrigens, als BANTU das letzte Mal so richtig für Aufmerksamkeit sorgten.

Soundclash in Lagos

Rückblende:

Damals hatte Adé Bantu mit 21 Kollegen, darunter vielen Trommlern das Album „Fuji Satisfaction“ eingespielt. Das aufwändige Opus trug den Untertitel „Soundclash in Lagos“; danach drängten hunderte Wiederveröffentlichungen von 70er-Jahre-Musik die neue afrikanische Musik zur Seite. Der Re-Issue-Markt rund um Analog Africa, Soundway, Honest Jon’s, Sterns, Strut, Souljazz Records und Konsorten boomte, belebte das Geschäft, auch mit nigerianischer Musik – war aber in gewisser Weise auch ein kurzlebiger Hipster-Trend. Gewonnen haben die beiden Prominentesten des äthiopischen Jazz, deren beruhigender Lounge-Charakter einen Nerv trifft: Hailu Mergia und Mulatu Astatke. Die nigerianischen Nachfolger von Fela Kuti aber stoßen auf weit weniger Interesse. Und das, obwohl dessen enger Kollege Ebo Taylor, der legendäre Gitarrist, geboren 1936, noch lebt.

Westafrika-Deutschland-Connections:

In dessen Studios nahe Cape Coast (Küstenstadt in Ghana) entstand erst kürzlich das Album „Nsie Nsie“ der neuen Combo Y Bayani, Baby Naa & The Band of Enlightenment, Reason and Love unter Strippen ziehendem Einfluss des deutschen Funk-Musikers Max Weissenfeldt (Whitefield Brothers). Ging im Lockdown unter, sei hier erwähnt und zum Testhören empfohlen.

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So ähnlich – also transkontinental – lautet auch jetzt das Prinzip, bei BANTU: Dreh- und Angelpunkte sind immer sowohl westafrikanische wie auch deutsche Koordinaten. Das BANTU-Album wurde teils in Lagos, teils in Köln fertiggestellt. Es ist eine Abrechnung mit dem aktuellen Kurs der nigerianischen Regierung, so viel versteht man auch ohne detaillierte Hintergründe zu kennen.


Und während die afrikanischen Bevölkerungen meist jung sind und sich in Ballungsräumen sammeln, scheint es nirgends so extrem zu sein wie in Lagos – womöglich liegt alleine in der extremen Binnenwanderung, die auch durch non-ökonomische Faktoren verursacht ist, ein Versagen der nigerianischen Regierung.

Situation in Nigeria

Umweltvergiftung in den Seitenflüssen des Warri und seines Deltas besang schon vor Jahren Nneka (um die es recht still wurde), die im Song „Streets Lack Love“ den Shell-Konzern angreift. Shell und andere Ölkonzerne wurden wegen Frackings und der für Jahrzehnte vergifteten Gewässer an Strafzahlungen von je drei Jahreseinkommen an die dortigen Fischerfamilien verurteilt. Dann wären da die ethnischen Konflikte, Nneka nannte sie „Tribalismus“. Mit ihnen in Zusammenhang die Terroranschläge der Boko Haram.

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Die Einführung der Scharia machte manche Landstriche auch nicht gerade sexy für junge Leute. Des Weiteren brachten große Lebensmittelkonzerne mit ihren Fertigprodukten und Konserven die ohnehin fragile Marktlage für Subsistenzlandwirte in ganz Westafrika durcheinander. Die Demographie tut ihr übriges, und Bilder von den Erzeugnissen der Lagos’schen Entertainment-Industrie (Telenovelas, HipHop-, Dancehall- & Afrobeats-Clips) sind vielleicht der einzige echte ‚Pull‘-Faktor, in die Hauptstadt Lagos hinein. Der Rest: ‚Push‘-Faktoren aus den Provinzen weg. Nigeria leidet jedenfalls unter der enormen Binnenmigration, denn – wir kennen es von München, Frankfurt, Berlin usw. – so schnell entsteht kein neuer bezahlbarer Wohnraum.

Squatter-Siedlungen und kein Geld für Miete

“Thousands of scatters / No money for rent” heißt es da im tieftraurigen “Man Know Man”, einem der Höhepunkte der CD, also inmitten der vielen anderen Höhepunkte. Scatters lautet da die Aussprache für Squattering Settlements: Squatter-Siedlungen sind im Grunde illegale, aber geduldete informelle Siedlungen mit einfachsten Hütten. Wo gar kein Platz ist, entstehen sie in Lagos gar auf stehendem Gewässer. Dafür, dass der Song zum Highlight wird, sorgt auch ein Wechsel am Mikrofon: Die Background-Sängerinnen Abigail Ireoluwa Allen und Damilola Eunice Williams a.k.a. DharmiWillz treten in den Vordergrund.

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Was aufs erste Durchskippen durch die ganze Platte hindurch noch alles einander recht ähnlich zu klingen scheint, differenziert sich schon anhand der Stimmklangfarben aus. Auch die Stimmungen durchlaufen von Schwermut über kritische Anklage bis lebenslustiger Affirmation verschiedene Phasen. Der sportliche Bebop, der in etlichen Tracks immer wieder aufblitzt, klingt gar nicht so sehr afrikanisch. Eher über die gedehnte Aussprache des Englischen wirkt das Ganze nigerianisch, und: Promi-Sohn Seun Kuti macht mit, die Themen, genauer die Darstellung von Interaktionen und Interessenkonflikten zwischen Militär und Wirtschaft erinnern schon an das, was Fela Kuti in den 70ern besang.

Und doch ist „Everybody Get Agenda“ recht entspannt. Es fordert eine Agenda, dies ja – also eine Liste mit Punkten, die abzuarbeiten wären. Das überrascht auch nicht, eher würde es verwundern, wenn dem nicht so wäre. Vor fast 20 Jahren, 2001, hatten sich die Brüder „Adé“ Adegoke und „Don Abi“ Abiodun Odukoya als Brothers Keepers engagiert. Von ihrer ersten HipHop-All-Stars-Platte und dem einschneidenden Statement „Adriano (Letzte Warnung)“ leiteten sich weitere Aktionen und Aufnahmen, aber auch die in den Folgejahren die Sisters Keepers als deutsche Frauen-Reggae-Gruppe ab.

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Vereinte Aktion gegen Rechtsextremismus. Anlass: Drei Neonazis hatten Alberto Adriano, einen DDR-Gastarbeiter, der aus Mosambik eingewandert war, im Juni 2000 in einem öffentlichen Park zu Tode geschlagen. Am Song wirkten u.a. Samy DeLuxe und Afrob mit sowie viele damalige Größen des deutschsprachigen Reggae und HipHop. Auch Xavier Naidoo, der sich im Juni 2000 von seiner Mitwirkung distanzierte.


Afrikanische Biographien prägten einiges, damit in Deutschland z.B. eine Reggae-Szene mit Außenwirkung entstehen konnte. Denke man etwa daran, dass Dellé von Seeed seine Grundschulzeit in Ghana absolvierte oder an die Reisen von Demba Nabé zu seinen familiären Wurzeln nach Westafrika, während er an seinem zweiten Boundzound-Album „Ear“ tüftelte. Auch BANTU hinterließen schon zahlreiche Spuren, wirklich viele. Hier mal die Alben im Schnelldurchlauf, an denen alleine die beiden Frontleute und konstanten Mitglieder beteiligt waren.

Diskographie Abiodun & Adé von BANTU sowie Projekt BANTU (in Auswahl):

Weep Not Child – From Hoyerswerda To Rostock (1992)
Exponential Enjoyment ?– Chop Or Quench! (1993)
Weep Not Child ?– Liberation Thru‘ Music & Lyrics (1994)
Advanced Chemistry – Advanced Chemistry (1996)
Schäl Sick Brass Band – diverse Alben (1997-2002)
BANTU (inklusive Patrice) – Fufu (1999)
Brothers Keepers – Lightkultur (2001)
Don Abi – Act Of Love (EP) (2003)
Burnt Friedman & The Nu Dub Players – Can’t Cool (2003)
BANTU – BANTU (2004)
Razoof – Soul Aquarium (2004)
Brothers Keepers – Am I My Brothers Keeper? (2005)
BANTU – Fuji Satisfaction (2005)
Razoof – Sun Salutation Dubs & Mixes (2010)
BANTU – No Man Stands Alone (2011)
Razoof – Jahliya Sound (2014)
BANTU – Agberos International (2017)
Abiodun – Break Free (2018)

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Das Album „Everybody Get Agenda“ des Kollektivs BANTU erschien am 25.09.2020 auf Adé Bantus Eigen-Label Soledad im Vertrieb von Broken Silence, digital, auf CD und Vinyl.

„Nsie Nsie“ von Y-Bayani, Baby Naa & The Band Of Enlightenment, Reason & Love erschien am 02.05.2020 beim Berliner Label Philophon digital und auf Vinyl.

Nnekas Album „No Longer At Ease“ mitsamt ihrer Kritik gegen Ölkonzerne erschien im April 2008 beim nicht mehr existenten Label Yo Mama’s Recordings digital, auf CD und Vinyl. Ihre Songtexte, Musikvideos und Interviews eröffneten einen radikal klaren Blick auf ihr Heimatland Nigeria und bestimmte, weltweite Machtverhältnisse und -mechanismen. Seit über fünf Jahren ist von der Sängerin nur ein einzelner Song erschienen, ihre Social Media-Aktivitäten hat sie komplett eingestellt.