Genre: Mood Management Music. Auch: Art Pop, Chanson, Psychedelic, Singer/Songwriter, Sphären-Electro, Synthiepop
Label: Supermoon/Caroline/Universal

Unvergessen ist mir ein Satz aus einem Interview, das Fred Kogel (Constantin Film, damals auch Bayern 3), für die Radio-Serie „Kultabend“ anno 2015 mit Sophie führte: Die erste Zeile eines Songs, so die Schweizerin, müsse eine Szene eröffnen und in den Song hineinziehen. Seitdem klassifiziere ich Popmusik bewusst und manchmal auch unbewusst nach diesem Kriterium. So gesehen, hat Sophie Hunger mein Musikhören und mein Leben verändert. Überhaupt eine interessante Interviewpartnerin!

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Zum neuen Album: Das Wortspiel aus „Hallo“ und „Halluzinationen“ im deutschsprachigen Titelsong gefällt mir nicht besonders. „Ich liebe euch / ich hasse euch“, bei diesem Refrain fehlt mir die Pointe. Nicht jeder Text hält hier hält hinter seiner allegorischen Fassade und seinen geheimnisvollen Gedankensprüngen eine tiefere Botschaft bereit. Zumindest findet man sie ohne angestrengte Interpretation nicht, und das Album wirkt entsprechend distanziert.

Rote Beete & Post Punk-Flair

Auch im Wortspiel „Rote Beeten aus Arsen“ (Rote Beete – rotes Blut – Arsenvergiftung) finde ich mich nicht wieder. Es braucht ein bisschen, um mit den „Halluzinationen“ warm zu werden. Zumal die Synth-Arrangements in manchen Tracks (dem Titelsong, „Alpha Venom“) abgegriffen klingen und die Drums manchmal einem seltsamen Post-Punk-Flair anhängen.

Das Entspannte an Blogs ist, dass man ein Album nicht als ‚Stand-Alone‘ besprechen muss. Auch gibt es keine Themen, die wir bringen müssen, weil „man“ sie eben bringen muss. Hier umrahmen wir Sophie Hunger nun mit einem Dutzend artverwandter Alben im Vergleich. Ergebnis: Sophie ist die wohl bekannteste Künstlerin in dieser Sammlung und Serie, die Platte aber bei weitem nicht die ausgereifteste.

Die Aura der Celesta

Macht nichts. Emilie Jeanne-Sophie Welti, geboren 31. März 1983 in Bern, hat nun schon wirklich oft bewiesen, dass sie zauberhafte Stimmungen kredenzen kann. Starke Highlights hat auch die neue Song-Sammlung. „Everything Is Good“ mit seinem Spieluhren-Sound baut auf die Aura der selten gebräuchlichen Celesta. Ein altes Instrument.

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Hierfür gebührt Sophie und ihrem Kollegen Hinako Omori ein Extra-Anerkennungspunkt und ein kleiner Knicks. Das klavierartige Instrument, Hybrid aus Schlaginstrument (Glockenspiel) und Tasteninstrument (Piano), gab zuletzt Sharon van Ettens Meisterwerk „Remind Me Tomorrow“ eine helle, frische Klangfarbe.

Groovende, pulsierende, melancholische Momente

Auch der hüpfende Rhythmus von „Bad Medication“ und „Maria Magdalena“ reißt auf Hungers Album mit. Groovend kann man dieses pulsierende Spiel in „Security Check“ definitiv auch nennen. Dieser melancholischste und reifeste Track der Platte lässt die Instrumente ab und an für ein paar Takte für sich stehen und klingt wie der Soundtrack eines völlig verregneten Abends, an dem sich die Straßenlaternen in den Pfützen spiegeln, der Wind pfeift und außer Taxis und streunenden Hunden niemand unterwegs ist.

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Manche Online-Shops ordnen die Platte als ‚Folk‘ oder gar ‚Folk-Rock‘ ein. Diese Wahl wirkt angesichts der weichen Töne und der Synthie-Präsenz unzutreffend. Tatsächlich gibt es eine formschöne Klavierballade am Ende („Stranger“) und Chanson-Atmosphäre („Finde mich“, „Rote Beeten aus Arsen“). Aber Anhaltspunkte für Folk(-Rock) fehlen.

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Manche verwaschenen Akkordläufe (z.B. in „Bad Medication“) und das Überthema der Platte lassen eher noch den Schwenk zu Psychedelic Pop plausibel erscheinen. Wenn man eine Kategorie braucht, wäre sie aufgrund der undefinierbaren Stimmung des Albums „Mood Management Music“. Hört man alles Songs durch, neutralisieren sie sich gegenseitig, und die Stimmung ist sozusagen „eigenschaftslos“. Würde man z.B. nur „Alpha Venom“ hören, könnte man sagen, diese Musik soll Biss und Schwung vermitteln und gewohnte Bahnen durchbrechen. An anderen Stellen wird eher das Auskosten trauriger Momente beschworen.

Anspieltipps: siehe Videos

Fun Fact: Sophie ist die vierte Emilie in dieser Serie, nach Emily Cross von Loma, der Sängerin Emily Barker und deren Fotografin Emilie Sandy.


ART POP & Indie – Die Serie

Warum eine Serie? Nun, die meisten Namen in dieser Serie ziehen im deutschsprachigen Raum nicht allzu viel Aufmerksamkeit an. Sollen die Artists also einander gegenseitig pushen, indem wir sie miteinander verbinden. Hier findet ihr Releases aus dem Zeitraum August 2020 bis Januar 2021, die im weitesten Sinne mit Art Pop und meist auch mit Indie-Labels zu tun haben. 
Auswahlkriterium: Nicht klassifizierbar. Innerhalb des Indie-Rocks keiner größeren Strömung (also keinem New Wave, Synthie, Folk, Psychedelic, Kraut, Indie-Soul usw.) zuzuordnen. Nischenmusik zwischen allen Stühlen. Mit Instrumenten, Vision und Wagemut.
Hier findet ihr alle Artikel der Serie!