Da sich dieses Jahr Weihnachten als Fest der Zusammenkunft so „anders“ anfühlt, trifft eine Platte mit Weihnachtssongs in rauem Gewand einen Nerv. Über Rebekka Bakkens „Winter Nights“ wurde schon viel geschrieben. Trotz des interessanten Ansatzes der Platte bewegen sich die Streaming-Zahlen aber auch zwei Monate nach Erscheinen in äußerst maßvollem Rahmen.
Greifen wir hier ein paar der Lieder unter der akustischen Lupe heraus. Fünf Tracks im Song-Dutzend sind Coverversionen: George Michaels „Last Christmas“, „Fairytale Of New York“ der irischen Folk-Punker The Pogues, dann ein Lied einer kanadischen Singer/Songwriterin, sowie „Silent Night“ (Stille Nacht, Heilige Nacht) und „In the Bleak Midwinter“. Jenes Weihnachtslied gehört zur englischen Adventstradition. Die Musik geht auf Gustav Theodor von Holst zurück (gestorben 1934), der Text auf die englische Dichterin Christina Georgina Rossetti (gestorben 1894).
Das Stück hat es wohl wegen seiner Steife und Strenge nie von der britischen Insel weggeschafft und gerät durch Bakkens Country-Jazz-Fassung nicht sympathischer. Das ist der Unterschied zwischen Winter und Weihnachten: Der Winter ist kalt, der Advent aber voller wohliger Warmherzigkeit, und dieser hier spielt in winterlichem Setting. Er enthält zwar Zitate aus dem Neuen Testament und spielt sogar auf die Krippe im Stall von Bethlehem kurz an. Trotzdem bleibt er ein spröder und uncharismatischer Text.
Die Frau mit den vier K im Namen
Während des April-Lockdowns wurde Rebekka Bakken, die Frau mit den vier „k“ im Namen, in Schweden 50. Sie stammt aus dem Raum Oslo im Nachbarland Norwegen. Bakkens erste Platten gingen aus Zusammentreffen mit deutschen und österreichischen Musiker*innen in einer Stadt hervor, die für das Advents-Business, den Weihnachts- und Silvester-Tourismus wie kaum eine andere Metropole steht: New York. Bald fand sie sich auch in deutschen Tonstudios wieder. Um 2000 herum erlangte sie Bekanntheit bei den Fans ihrer Jazz-Kolleg*Innen Wolfgang Muthspiel, Julia Hülsmann und Bugge Wesseltoft.
Stille Nacht – variabler als man meinen würde
Ein deutsches Lied aus dem immensen Katalog an Weihnachtsliedern hat sie zwar keines ausgewählt, dafür das unverzichtbare „Silent Night“ aus dem Salzburger Umland und aus dem Jahre 1818. Das atemberaubendste Pop-/Folk-Cover des Liedes bleibt sicher Simon & Garfunkels Version mit Nachrichtenschnippseln über den Vietnamkrieg (Album: „Parsley, Sage, Rosemary And Thyme“, 1966).
Doch auch Bakkens Darbietung überrascht. Stimmlich so als würde Country-Grande Dame Emmylou Harris anpacken, verharrt die Interpretation im Experimentellen statt im „Schönen“. „Stille Nacht“ hatte seine Uraufführung in einer Kirche, doch von dieser Besinnlichkeit kam dem Lied immer mehr abhanden, wenn man bedenkt, in welchen hektischen Umgebungen es inzwischen aus Lautsprecher-Boxen tönt. Folgerichtig, dass Bakken den Klassiker auf ihre Weise entzaubert und zu einer harten Fassung ohne jegliche Süßlichkeit umbaut. Dafür zu einer Version, die innehält, wobei die Studiofassung nicht ganz mit Rebekkas eigener Live-Aufführung mithält.
Advent im August
Während man bei „Stille Nacht“ noch genau rekonstruieren kann, wie der Song in die Welt kam, lässt sich bei „Last Christmas“ von Wham! (1984) die Premiere nicht mehr exakt nachvollziehen, und auch George Michael nicht mehr dazu befragen, der am 25. Dezember 2016 starb. Der Advents-Hit entstand typischer Weise im Hochsommer. Aufgenommen im August 1984, kam die Nummer erst am 30. November als B-Seite auf den Markt. Ob sie dann schon jemand im Radio spielte, ist nicht überliefert. Schnell aber korrigierte sich die Plattenfirma und presste den Song einige Tage später doch auf die A-Seite, als die er dann um die Welt ging. Oft gecovert, nun als Klavierballade…
Ähnlich wie für „Last Christmas“ wählt die Künstlerin auch für „Fairytale of New York“ der Pogues die Methode der Verlangsamung. Trotz allen stimmlichen Nachdrucks gerät diese Version dann doch recht somnambul.
Video-Clips gibt’s übrigens so gut wie gar keine mit der popverwandten Jazzerin, lediglich Bühnen-Videos. Hier lässt sich anhand einer ihrer bekanntesten Nummern, ein Bild machen: Die bluesige, intensive „Powder Room Collapse“ findet sich im Original auf ihrer „Morning Hours“-CD .
Bakken präsentiert auch auf „Winter Nights“ wieder eine Reihe eigener Stücke. Bei der Zeile „A whole year has passed“ ist zwar (im Song „Wonder In Your Eyes“ eine Beziehung gemeint; man kann aber beim Hören durchaus daran denken, wie Ende Dezember 2019 die ersten Meldungen über Corona aufkamen und uns das Thema nun doch fast ein Jahr lang begleitet. Insgesamt lädt das Album dazu ein, die Zeit ein bisschen anzuhalten und – jenseits der Genres – Piano, Mandoline, Pedal Steel-Gitarre, Tuba und Mellotron auf sich wirken zu lassen. Sehr nordisch und ein Soundtrack für schmuddlige Tage in diesem nasskalten Winter.
„Winter Nights“ von Rebekka Bakken erschien am 26.10.2020 bei Okeh, dem New Yorker Blues-Sublabel von Columbia/Sony.