Die Zeile „Wake the town / Tell the people“ stammt aus seinem Mund. U-Roy, oft genannt Daddy U-Roy, war der Daddy einer spezifischen Ausdruckstechnik: Des Toastings. Ende der Sechziger entwickelte er diese Form des Sprechgesangs. Er wandte sie auf Songs an, die im jamaikanischen Steppa-Style-Beat und One Drop-Schlagmuster groove’ten. Seine Mischung aus rhythmischem Sprechen und angedeutetem Singen nahm den Rap und, mit den Zwischenrufen innerhalb seiner eigenen Lead Vocals, den MC-Stil vorweg.
Auch die Fusion aus DJ-Loops, Rappen, Breakbeats und Pop-Melodien auf Offbeat-Rhythmus im Acid-Jazz, House und Eurodance der späten 80er und frühen 90er wären ohne U-Roy kaum historisch nachvollziehbar. Karibische Einwanderung nach New York legte schließlich einst auch den Grundstein fürs Rappen in der Bronx und damit für eine Revolution der gesamten Musikwelt.

Ewart „U-Roy“ Beckford, dessen Vorname Ewart gesprochen in etwa „Yuh-Wroaht“ wäre, kam in Kingstons Stadtteil Jones Town, dem Nachbardistrikt von Trench Town, am 21. September 1942 zur Welt. Dort, nahe der Küste und der Hafen-Bay, downtown, wuchs er im ‚Ghetto‘-Milieu auf, meinte aber später in Interviews, sich von den typischen musikalischen Ausdrucksformen dort abgegrenzt zu haben. Er verstand sich als DJ und startete im Jahr von Jamaikas Unabhängigkeit als Soundsystem-DJ seine Karriere.
Das Modell der aufeinander geschichteten Lautsprecher-Boxen, später in der Dub-Szene als Soundsystem-Türme etabliert, entwickelte er maßgeblich mit. Zu ‚bassigen‘, wummernden Sounds, bewahrte er sich Zeit seines Lebens eine ausgeprägte Affinität, die man auch auf späten Aufnahmen, etwa mit dem französischen Dub-Producer Biga*Ranx gut heraushört.
U-Roy war ein willkommener Konzertgast auf deutschen Reggae-Festivals und eröffnete an die 1.000 Ausgaben der Sendung „Rastashock“ in Nürnberg (Radio Z) mit seinen Worten „Wake the town / Tell the people“, die im Startjingle von ungefähr jeder zweiten Sendung erklingen und sofort aufs Reggae-, Dub- und Dancehall-Musikgeschehen einstimmen.
Als Moderator dieser Sendung nahm mir U-Roy mit seinen unbekümmerten Ausrufen in vielen Momenten samstagsabends das Lampenfieber. Ein Sample aus dem Song „Wake The Town“ findet sich auch in Dawn Penns „No No No (You Don’t Love Me)„, einem der größten Reggae-Hits und wohl dem bekanntesten Rocksteady-Stück der 90er-Jahre.
Als DJ mixte U-Roy auch einen Song neu, der später weltbekannt wurde, „The Tide Is High„. John Holt und seine Vokalgruppe The Paragons nahmen den Tune 1967 auf. U-Roy kredenzte daraus eine verschrobene Sprechgesangs-Nummer, die (circa) 1971 erschien. Später machten Debbie Harry & Blondie daraus ihren Hit.
U-Roy legte den Grundstein für die Technik des Toastings und die Verbreitung von Patois-Englisch in der Musik generell. Seine authentische, schlichte und unprätentiöse Art verschaffte ihm über die lange Phase seines sechs Jahrzehnte währenden Schaffens unzählige Zusammenarbeiten mit Künstler*Innen in Jamaika, Frankreich, Großbritannien usw.
So wandte sich der Avantgarde-Dub-Tüftler Mad Professor der Stimme U-Roys oft zu und entwickelte großartige Kollabo-Alben mit ihm.
U-Roy hat knapp 25 Studioalben veröffentlicht, von denen etliche zu Meilensteinen der Genres Dancehall und Dub gehören. Einige Künstler wie I-Roy und U-Brown schlossen sich in der Namensfindung an U-Roy an und referierten damit auf ihn. Auch der in den 90ern sehr populäre Dancehall-Entertainer Prezident Brown bezog sich gerne auf U-Roy als Inspirationsquelle. Unter den zeitgenössischen Acts gibt es unverkennbare Parallelen zu Scotty in den 70ern (im Film „The Harder They Come).
Die junge jamaikanische Künstlerin Koffee, die 2019 ihren Durchbruch hatte, ist ebenfalls stark von Daddy U-Roy beeinflusst. Zu den Fans zählten aber auch Musikschaffende auf anderen Kontinenten. Ein großer Fan U-Roys war Joe Strummer von The Clash. Insoweit hatte U-Roy auch seinen Anteil an der Verschmelzung der Punkrock– und New-Wave-Szenen mit Dubmusik und karibischen Beat-Patterns.
In den letzten Monaten hatte ich während meiner Krankenpflegeausbildung täglich mit Patient*Innen zu tun, die am sogenannten „tödlichen Quartett“ leiden, einer Kombination und Wechselwirkung aus Bluthochdruck, zu viel Bauchfettgewebe, Stoffwechselstörung und Diabetes Typ II. Bei vielen dieser Patient*Innen ist die Arbeit der Nieren irreversibel gestört. Auch U-Roy litt an diesem „metabolischen Syndrom“ und starb am Mittwoch an Niereninsuffizienz. Ich verneige mich vor diesem einzigartigen Künstler, der noch viele meiner Sendungen eröffnen wird. Ein cooler Typ! „Wake the town, tell the people!“
Das letzte Album, The Wailers & U-Roy, „My Cup Runneth Over“ erschien im Juni 2020 und remixt überwiegend Bob Marley-Klassiker. Eines der schwächsten U-Roy-Alben. Unten eine Kooperation mit Richie Stephens (2013) und ein gelungenes 30 Minuten-Mixtape (2019) mit einigen der besten U-Roy-Momente.
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag.
[…] Produzent Bobby ‚Digital‘ Dixon, Toots Hibbert, U-Roy und Bunny Wailer geht der Karibik binnen eines Jahres erneut ein wegweisender Künstler […]
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