Ein Mann in der #MeToo-Ära, ein Album der Ambivalenz.
Ryan, nicht Bryan Adams: So betonten es die Radiomoderatorinnen stets, als Ryan vor 20 Jahren ein unbeschriebenes Blatt war. Tatsächlich neigt er wie sein Beinahe-Namensvetter den softrockigen Tönen zu. So gestaltet sich schon der Opener von „Wednesdays“, „I‘m Sorry And I Love You“, als Musterbeispiel der zarten Liebesballade, hier klavier-geleitet. Im somnambulen „Who Is Going To Love Me Now, If Not You“ wirkt die Titelzeile wirklich wie eine in den Raum gestellte Frage. Die gezupfte Akustikgitarre plätschert verträumt über zaghaften, wabernden, sphärischen Keyboard-Loops.
Gegen das Übermaß, gegen Multitasking
Dezente Songwriter-Musik, wie Ryan Adams sie praktiziert, hat oft den Beigeschmack, introvertiert zu sein. Nur zum Zwecke von Kritik an Trump & Co., also des politischen Protests, mal aus sich herauszukommen. Ryan hingegen unterbreitet den ernsthaften Ansatz, mit der Musik nahe zu rücken, bedrängend nahe. Völlig zeitlose Geschichten zu erzählen. In vielen Abschnitten instrumentiert er sich so minimalistisch wie möglich, lenkt so die Aufmerksamkeit auf seinen innehaltenden Gesang. Andächtig baut er Stimmungen auf. So heult erst spät in „When You Cross Over“ eine Melodica auf, und das Klangbild verdichtet sich. Meist überwiegt der spärliche Ansatz. Eine Platte gegen das Übermaß an Signalen und Multitasking.
Autobiographisch und doppelbödig
Das Album wirkt wie ein Nachtspaziergang. „A Walk In The Dark“, heißt entsprechend einer der Tracks. Die Reihenfolge der Nummern ergibt sich sinnfällig. Doch auch eine metaphorische Ebene von Düsternis gibt es: Ryan Adams singt leise über seelische Schmerzen („Poison & Pain“). Im Titelsong „Wednesdays“ reflektiert er, was passiert, wenn man sich aus einer selbstverschuldeten Trennung oder Beziehungs-Eiszeit in Kokain und Zigaretten flüchtet.

Die Geschichte scheint autobiographisch zu sein. Und da mischt sich nun die Doppelbödigkeit dieses Werks und auch des Zeitpunkts, zu dem es erscheint, in die Wahrnehmung. Ryan Adams – da war doch was. Im Februar 2019 – die große #MeToo-Welle war gerade ein Jahr alt, aber bereits durch Kritik an ihrer Anführerin Asia Argento gebrochen, dass sie selbst einen Minderjährigen sexuell bedrängt habe – da erwischte es Ryan, und er stritt alle Vorwürfe ab.
Täter, Opfer, Vorwürfe, Entschuldigung
Seine Ex-Frau beschuldigte ihn in der New York Times, dass er ihre Musikkarriere aus Rache für ihre Scheidung behinderte und Produzenten gegen sie einnahm. Liest sich wie ein nachgelagerter Rosenkrieg einer zerrütteten Ehe, aber es kam noch mehr: Die Zeitung brachte auch Aussagen sechs weiterer Frauen vor.
Die Sängerin Phoebe Bridgers, die 2020 ihren Durchbruch erlebte und ihre Bekanntheit schnell zur Gründung eines eigenen Labels nutzte, hätte vielleicht viel früher sehr bekannt werden können.
Phoebe Bridgers (c) David Bates
Ryan Adams habe ihr versprochen, sie groß raus zu bringen, wenn sie ihn heirate, so ihr Vorwurf. Sie habe das nicht gewollt, sich aber des Öfteren auf Telefonsex mit Ryan eingelassen. Ob der Hashtag #MeToo solche Fälle einschließt?
Exkurs Gender & Musikbiz
Wie freiwillig lässt sich jemand ein, wenn Machtausübung mit im Spiel ist? Anderes Beispiel: Man denke an Jessie Reyez, deren Ex-Producer Noel Fisher sie ungefragt in seinem Auto streichelte, zu einer Party überredete und in Wirklichkeit zu sich nach Hause fahren ließ. Mit dem Argument, sein Kontostand sei sehr attraktiv. Sie verweigerte sich, ließ sich nicht darauf ein. Sie konnte aber aus dem fahrenden Auto nun auch nicht aussteigen.
Nun…. es ist off-topic für ein Platten-Review, aber wichtig: Einen eklig pikanten Beigeschmack gibt es auch bei Ryan. Eine angeblich 15-Jährige berichtet von überdeutlichen Verquickungen von Karriereaspekten und sexuellen Annäherungen. Ryan dementierte, das FBI ermittelte, Beweislage unklar.
Ein Gatekeeper? Wie weit der sehr erfolgreiche Ryan seine Stellung im Business ausnutzte oder die betroffenen Damen manches Detail schrill übertrieben darstellten, um die mediale Aufmerksamkeit auszuschlachten – von außen bis dato schwer zu beurteilen. Jedenfalls für mich, der diesen Teil der Alternative-Folk-Szene dort nicht kennt und den Stellenwert des Musikers schwer aus der Ferne einschätzen kann.
In anderen Genres steht es um die Repräsentanz von Frauen viel schlechter. Nehmen wir jamaikanischen Dancehall. Geschenkt wird Frauen in manchen Segmenten des Musikbusiness sicher nichts. Was den Vorwürfen gegen Ryan einen bitteren Kern verleiht: Den eines strukturellen Problems. Egal wie viel an denen im konkreten Beispiel dran ist.

Es gibt aber bessere Methoden, Frauen zu fördern, als die (nicht juristische und ungeprüfte) Vorverurteilung eines Mannes in Zeitungsschlagzeilen. Irgendwas bleibt immer kleben, wusste schon Cicero. Auf „Wednesdays“ stellt sich der Sänger nun nicht ganz frei von Larmoyanz als Opfer dar, dem schlimme Seelenqual widerfahren sei.
Trübsal, Selbstkritik, Schwebezustand und Katharsis
Teils entschuldigt er sich oder zeigt Reue, wie in „I’m Sorry And I Love You“. Sicher, eine getrübte Grundstimmung ist völlig authentisch. Die Songs sind nämlich schon älter, von circa Ende 2018. Wegen der Vorwürfe gegen den Künstler sind sie dann erst doch nicht erschienen. Ryan hat ein weiteres Anliegen. Er verarbeitet den Tod seines älteren Bruders, eines erfolgreichen IT-Managers, der nach qualvoller Krankheit mit 46 starb. Ryan war nicht dabei – er tourte gerade. Der Song „Mamma“ greift das Thema auf.
Einiges, was explizit Mann und Frau betrifft, lässt sich in den Songtexten als Selbstkritik lesen. Jetzt wirkt es, als wolle er sich mit den sehr reflektiert geschriebenen Worten als Geläuterter darstellen, der für seine Fehler gerade stehe, gar unter ihnen leide.
In „Mamma“ geht es dabei auch um eine mögliche Ursache für eine wohl wirkliche Störung Ryans im Gender-Verhältnis: er wuchs nämlich ohne Vater auf; dieser machte sich von dannen, als Ryan fünf war, und die Restfamilie zog zu den Großeltern.
Aus dem Zentrum seiner Seele
Immerhin, nicht mit jeder Ex-Freundin ist der Songwriter heute zerstritten. Die Schauspielerin Parker Posey sagt über die neuen Texte ihres einstigen Lovers, dass sie „ein kathartisches (…) Mitgefühl liefern“. Und Lindsey Buckingham (Ex-Fleetwood Mac) analysiert zutreffend: „Während meiner Zeit im Musikgeschäft habe ich beobachtet, dass Künstler manchmal den Kontakt zu ihrer Mitte verlieren können (…) Ryan Adams (…) Musik und seine Texte entspringen dem Zentrum seiner Seele, und in seiner Bereitschaft, dieses Zentrum durch seine Kunst freizulegen, erlaubt er uns, einen Blick auf uns selbst zu werfen (…)“ Während es tatsächlich über alle anderen Wochentage mehr Songs und Platten geben dürfte, hat Ryan Adams das eigene Reflektieren für mittwochs angesetzt. Denn typisch sei da ein Schwebezustand.
Ursprünglich sollte diese Platte Teil Zwei einer Trilogie sein, nun erscheint der zweite Teil vor dem ersten. Dass Fans das Lebenszeichen eher unappetitlich finden, wäre verständlich. Dennoch, es liegt eine sehr gute und eigenwillige Songwriter-Platte vor. Musikalisch entgeht einem also wirklich etwas, wenn man „Wednesdays“ ignoriert.
Das Album erschien am 11. März 2021, ein Vierteljahr nach dem digitalen Release, auch physisch, bei Ryan Adams eigenem Label Pax Americana, im Vertrieb von Rough Trade. Wie uns per E-Mail mitgeteilt wurde, stand der Sänger seither und steht er auch in den Wochen nach dem Release generell für Interviews nicht zur Verfügung. Zur Vorgeschichte berichtete der Musikexpress über Beginn und Ende der Ermittlungen.