So wie das Artwork bereits anstelle von Fotografie retortenhaftes Grafikdesign bemüht, so ist auch die Musik auf Max Romeos neuestem Streich eine Low Budget-Produktion. Berichtet hast fast niemand drüber. Dabei ist „Ten Toe Turbo“ ein hitverdächtiger Tune. Und, hey, Max ist ja nun kein Nobody und war 2018 mit seiner Platte „Words From The Brave“ durchaus ein Thema. „World Of Ghouls“ ist dem Social Distancing und Reisebeschränkungen geschuldet, zuletzt hatte der Jamaikaner eine französische Band. Im Homestudio seiner eigenen Plattenfirma Charmax hielten Riddims, die mit Software-Tools gebaut sind, für ein neues Konzeptalbum her.
Mit „World Of Ghouls“ gratulierte er sich umgeben von seinen musikalischen Kindern selbst zum 77. Geburtstag. Seiner historischen Bedeutung als Sozialchronist gäbe es eigentlich wenig hinzuzufügen. Von Themen wie Kinderarmut auf Jamaika über den Bau einer umstrittenen Landebahn in London bis zur Abschaffung der Subsistenzlandwirtschaft weltweit, hatte der ‚Lucifer! Son of the mourning‘-Poet immer wieder Awareness-Raising betrieben. Jetzt ist thematisch vor allem der Lockdown dran. Den kommentieren Tochter Xana, Max und seine beiden ebenfalls musikalischen Söhne Azizzi und Lil Rolee in „Flatten The Curve“.

Das Lied erschien ursprünglich bereits im Mai ’20 als Reaktion auf die ‚erste Welle‘ von Covid-19. Masken, Hygienekonzepte, Angst davor aus dem Haus zu gehen – diese Punkte werden auf einem disharmonischen Ragga-Riddim mit Sci-Fi-Stimmung verhandelt. Man spürt wieder, wie bedrohlich und weltweit die ‚Pandemie‘ gerade am Anfang empfunden wurde. Nun schaut sich Romeo diese und andere Bedrohungen auf dem Planeten, symbolisiert als Dämonen, persisch ‚Ghuls‘, an. Wie er auf den Trichter mit den Fabelwesen kam, ist im infofreien Promo-Paket nicht überliefert.
Da wir in einer digitalen Informationsgesellschaft leben, ist Wissen, „Knowledge (ft. Azizzi Romeo + Lil Rolee)“ zentral. Hier überlässt der Senior seinen Dancehall-affinen Söhnen die Bühne. Der eine nutzt Auto-Tuning und reiht Wörter wie „savior, spirit, days of slavery, ruler of rulers, showers of blessings“ aneinander, als würde er mit Wörtern Ball spielen. Angesichts der maschinellen Beats und der porösen Stringenz der beiden Junior-Romeos fühlt man sich im falschen Film. Erst als Max ans Mikro hinzu kommt, geht’s wieder.
Positiv gesagt: Er lässt der Jugend ihren Stil. Nach einer durchwachsenen ersten Hälfte mit flachbrüstig instrumentiertem Roots-Dub (dem Bassfrequenzen, Vehemenz und Raumklang fehlen), und dem rhythmisch schiefen Familienstück „One For All (ft. Xana + Azizzi Romeo)“, findet Max auf der (sozusagen) ‚B-Seite‘ dieses MP3-Releases zur gewohnten Stärke und feuert einige Kracher ab. Mit ‚ram pam pam groovt er sich entlang der „Gates Of Jerusalem (ft. Xana Romeo)“.
Die Nummer hat Flow, Elan, Tempo, eine schöne Melodie, und Xana ist eine begnadete Massage-Sängerin mit viel Mitteilungsdrang, die im Gegensatz zu ihren Brüdern einen eigensinnigen Stil pflegt und Kingstons Nu School of Traphall nicht auf den Leim geht. „Kick Back“, ein Lied über Corona-Kontaktbeschränkungen, wird gestalterisch Punkte bei Fans von digitalem Dub sammeln.
„Ten Toe Turbo“ mit süßem Jojo-Beat erinnert stilistisch an den Aufbruch des jungen Max Ende der 60er. Der Zehn-Zehen-Turbo passt inmitten steigender Benzinpreise, überfüllter 9 Euro-Ticket-Regionalzüge und gecancelter Flüge. Max outet sich als leidenschaftlicher Spaziergänger.
Seine noch immer jungenhaft modulierende Stimme entertaint, Romeo zieht mit lebhaftem Vortrag die Aufmerksamkeit auf sich. Auch im Gospelpop „Are You Coming Again“ kommt er damit sympathisch rüber.
„Life Of A Farmer“ ist ein Keyboard-Stück mit Saxophon-Loops aus dem Synth-Baukasten, erinnert schwer an Spieluhren, und das Ganze tropft rhythmisch als Ska statt als One Drop-Reggae, seltene Kombination. Es geht um den Blickwinkel des Landwirts und sein simples, gleichgetaktetes Leben.
Als Jugendlicher hatte sich der Schulabbrecher Max als Erntehelfer verdingt, worauf er immer wieder gerne zurückkommt, zumal nicht gerade viele Bands weltweit über den Agrarsektor singen.
„Die Großfarmer mit einer Menge Hektar und einem Maschinenpark, das sind diejenigen, die Beachtung von der Regierung erhalten“, erzählte er mir mal. „My Child“, ein Schlaf-Lullaby (auf Reggaebeat) für Kinder, beendet das Album. Der Grandseigneur des Roots-Genres hat also einiges interessante Material für seine nächsten Shows – sein Job bei uns wäre es, den puresten Roots-Beitrag zum Kölner Summerjam 2022 zu leisten, für das er 2020 und ’21 gebucht war – er eröffnet dort am Samstag um 18:20 Uhr eine lange Europa-Sommer-Tour.
Max Romeo tourt mit seiner Charmax Band und Tochter Xana zu folgenden Festivals & Locations:
Ostróda, Polen (II. Juli-Wochenende)
Plein-les-Watts Festival, Lancy, Schweiz (III. Juli-Wochenende)
Les Tanzmatten, Sélestat, Frankreich (22. Juli)
Fyrishov, Uppsala, Schweden (29. Juli)
Uprising Festival, Slowakei
One Love Festival, Wiesen, Österreich (5. August)
Overjam, nähe Ljubljana, Slowenien (III. Augustwoche)
Rototom Sunsplash, nähe Valencia (III. Augustwoche)
