Peter Fox – Love Songs

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Auf Peter Fox‘ „Love Songs“ fehlen Songs über Love. Und das pfiffige Mash-Up „Liebe Im Bauch“ von Chilli Vanilli: Es setzt sich aus Peters Video zu „Weisse Fahnen“, Musik aus „Ein Auge Blau“ und Sidos und Bozzas Track „Sterne“ zusammen.

https://www.youtube.com/watch?v=Myc_E8d_h3o
„Ein Auge Blau“ springt auf Afrobeats auf. Gut für eine jüngere Target Group. Eventuell, wenn sie mit den Lyrics über Midlife-Crisis in einem bemüht anglizistisch angehauchten Gewand klar kommt. „Family-Mann – rennt vor die Wand“, textet Peter, „Alte Geister laufen durch mein Haus und meine Hall of Fame (a-ha!)“, „Neues Zeug geordert, bis dahin out of order“. Wie wär’s da noch mit einem Versuch Jugendsprache, aber wie hieß das Wort noch gleich, ähm? „Bin nicht kaputt, nur ein bisschen defekt“– ? Nein, Peter. Oder sollen wir sagen: Bro? Oder Bre? Sagen wir, Digga. Also, Digga es hätte „abgeaxt“ geheißen. Und weder kaputt noch defekt. Mit der Kombi der Wörter „broken“ + „lost“ wüsste man auch Bescheid, was gemeint ist. Jedenfalls mehr als mit „bin nicht kaputt, nur ein bisschen defekt“.

„Exhausted“ wäre als direktes englisches Wort besonders passend zur Einleitung: „Mein Spiegelbild Schrott / Ich steh‘ im Bad und baue mich neu zusammen“. So weit ein erster Überblick über die Sprache.

Und, wie ist die Stimmung im Haus am See?

Mit einem „Haus Am See“ halten die neuen Szenarien nicht Schritt. Aus einer ganzen Reihe von Gründen. Nicht nur, weil manche Reime nicht zünden wollen, wie „lässt gerad‘ im Garten den Aston Martin laufen (wrumm-wrumm)“ (in „Regen In Dubai“).

Es fehlen die wirklich positiven Szenarien. Dort, wo’s auf „Love Songs“ glückt, gute Metaphern zu formulieren und starke, richtig visuelle Bühnenbilder aufzuzeichnen, stehen sie für unspannende Geschichten. Wenn es Positives zu vermelden ist, ist es verhalten und gedämpft. Zum Beispiel im Post-Pandemie-Tune „Vergessen Wie“. Da ist der einzige Grund zur Freude, dass Clubs wieder offen haben und die Lockdown-Maßnahmen vorüber sind. Welch ereignisloses Leben.

(c) Felix Broede – Pressebild

Die Kunst bei Peter Fox‘ erstem Album bestand in der Fortführung des Seeed-Konzepts, Reggae auf Deutsch richtig groß zu malen, den Neue-Hauptstadt-Sound ins ganze Land zu schallen, Hip Hop subtil zu machen, ohne dabei niedlich oder Gangsta zu sein, und ohne ‚Hip Hop‘ drauf zu schreiben. Entscheidend waren sowieso die Bässe. Ich gelangte Anfang 2009 mal aus Zufall zu einer WG-Party, die restlos überfüllt war. Ungefähr 200 Personen sprengten den Rahmen einer Sieben-Zimmer-Wohnung, die immerhin über einen großen Balkon und eine geräumige Küche verfügte. Man hatte damals noch nicht so viel Erfahrung damit, wie Facebook funktioniert und von der Existenz dieser Party auf Facebook gepostet, und die einzige Musik, die diesem Riesen-Aufgebot von Leuten stand hielt, war „Stadtaffe“, weil die Bässe richtig gut funktionierten und ultra deep durch die Etage groovten.

Entscheidend waren Bässe

Fox machte es wie sein Freund Boundzound und entlieh die Resonanzen der jamaikanischen Soundsystem-Culture. Mit freundlichen, optimistischen Texten, die mitrissen und Idylle malten, kannte er sich von Seeed schon aus, etwa wenn man an „Aufstehn“ denkt und an den „Kaffee, der tote Tanten weckt“. Die Alliterationen beherrscht der Berliner weiterhin super, z.B. in „Tuff Cookie“, wo die Heldin des Songs den Kiez kennt und die Kids raus schickt: „Bist mein Best Buddy, meine Baby Mama (…) / sind Pinguine, keine Part Time Lover.“ – Doch die Beats dazu klingen nachahmend. Sie erschaffen keine Marke. Sie haben nichts von dem, womit Seeed Hallen füllen, sondern viel von dem, womit Spotify Streams in Endlosschleife generiert. Was hier musikalisch alles so kommt, tut nicht weh und ist nicht schlecht. Aber es ist auch überhaupt nichts Besonderes. Sondern eine Anbiederung an Sido, Bausa, Dendemann, Cro, Namika, Nura, Lary, Feature-Gast Ghanaian Stallon von BSMG, und viele andere, die Deutsch-Pop mit Rap irgendwann mal mit Spuren von Dancehall oder Afro angereichert haben. Daher drängt es sich auf, dass z.B. Soundcloud-Producer Mash-Ups aus Fox und Artverwandten basteln. Trotzdem stimmt der Satz aus dem PR-Text annähernd:

„Die Einflüsse und Referenzen reichen von Afro-Drill und Amapiano über Dancehall und Jersey Club bis hin zu 70er-Electronica oder Punkrock. Einen roten Faden bilden die Chor-Arrangements.“ 

Kein Regen in Dubai - YouTube


„Kein Regen In Dubai“ sticht dank Streichern und einer romantischen Atmosphäre hervor. Der Dream-Soul schlängelt sich angenehm um die Ohren. Stört nicht. „Das Silvester-Feuerwerk ist perfekt / das Service-Team ein weißes Ballett“, skizziert der mental nach Dubai Reisende. „Und im Traum verwandelst du dich dann / in ein’n wunderschön’n Gegenstand.“ – Ja, und da verließen sie ihn dann, die Metaphern. Welchen Gegenstand denn?!

Alliterationen vs. Slogans

So nett es ist, einen Traum aufzuschreiben und ein Lied draus zu machen, so sehr gilt leider für alle Lyrics, dass sie sprunghaft wirken und einzelne Slogans aneinander reihen, von denen manche gut klingen, manche aufgesetzt, manche bescheiden, aber kaum mal einer wirklich witzig oder gar wortakrobatisch. Manchmal weiß man, was Fox meint, manchmal behält er’s für sich. Wirklich stringente Geschichten erzählt er jedoch leider keine. „Braungebrannt und schmuckbehangen und für ewig umgeben von goldenem Wüstensand“, stellt Fox sich das „du“ vor, das in Dubai zum Gegenstand wurde.

Abflug zur nächsten Station, Disneyland. „Ich träum deinen Namen rückwärts (…) und flieg übern Asphalt, wieder aufm Weg zu di-hiar“, erfahren wir in „Disney“. Ach komm, Peter, Digga, Bro. DAS sollen „Love Songs“ sein? Woah, da hat Wolfgang Petry mehr Poesie. Rinnen die Textideen aus, bleibt einmal Zeit für „yea-hea-hea-hea.“ und einen Blick aufs beste Small Talk-Thema ever: „Das Wetter supreme, die Message sublim, Camptrails zeigen den Weg nach Süd-West-Berlin zu dir / eigentlich weiß ich so wenig, versteh grad so viel / seh meine Moleküle schweben über Strawberry Fields. Meine Welt ist ein Frisbee, vielleich’n Tick zu Disney (oh-ho-oh) kann nur noch dich seh’n / kiss me Girl, für immer Lip Sync.“ – Also, wenn man’s über die Kirchglocken auf Handclap-Azonto im Intro hinaus schafft und wenn man überhaupt den Track durch hält, landet man leider tief im Schlager-Sumpf.

Das sollen Love Songs sein!?


„Toscana Fanboys ft. Adriana Celentano“ wagt den Trip auf einer selten gehörten Kreuzung aus Italo-Pizzicato mit heutigem Reggae. Ein bisschen Sixties-Filmmusik nachgespielt, ein ganz kleines bisschen Anlehnung an Protojes „The Flame“. Die Stimme von Italo-Senior ‚Signore Azzurro‘, 85, taucht auf, klingt alt und tatsächlich eher wie extra angefragt als reinkopiert, frappiert ein bisschen und passt aber gut. Fox ist im Pinienwald und auf einem gelben Feld unterwegs. „Wie bei Gladiator, ’n Helm auf wie n‘ Held“. Solche Verweise auf Action-Figuren gibt es öfter, wie in der Zeile über den Optimus Prime in „Ein Auge Blau“. Fox referiert über Cappuccino, Wein und einen Casual Lifestyle, gibt aber die „Kilos“ zu bedenken, die man durch zu viel Cappuccino bekomme. Ich glaube, da steigen die Millenials aus, und die CD reduziert sich auf einen symbolischen Nachfolger für „Stadtaffe“, für die, die mit ‚Enuff‘ älter geworden sind und ihn nicht vergessen, aber auch sonst kaum mehr neue Musik entdeckt haben.

Da ist der beste Track doch tatsächlich der Chorgesang ohne Text, der Anderthalb-Minüter „Dawn Of The Dawn“, eine Art Intro zum Electropop „Gegengift“. Das Aerobic-taugliche Stück Wabbel-Zappel eignet sich laut den Lyrics für Sit-Ups und Liegestütze. Hier scheint ein actionreicher Alptraum dargestellt:

„Schrank vor die Tür, vor jedem Fenster ein Brett / kann mich irgendwer hör’n? Ich funk aus meinem Versteck. Kann mich irgendwer hören? Ich funk aus meinem Versteck. Alle rennen taub durch die Gegend, beißen sich fest / Pass auf, wenn du rausgehst, Bruder, die flexen dich weg. (…) Hab ich Spucke im Mund oder isses schon Gift? (…) mein Leben noch einigermaßen im Griff (…) Draußen Chaos in den Straßen, die Schreie laut, die Blicke leer.“
(„Gegengift“)

Worum es auch immer gehen mag, Dystopie hat nun auch die Wohlfühl-Produktionsstätte Seeed erreicht – oh weh. In Bezug auf den Titel „Love Songs“ bleibt auch mit diesem Track nur das Urteil ‚Themaverfehlung‘ übrig. Spannend maschinengetrommelt ist das Stück immerhin, und Peters Stimme ist ja auch ganz sympathisch. Und der Afro-Soul in „Celebration ft. Benji Asare“ klingt stellenweise so schön wie in alten Nneka-Zeiten. Aus historischer Verbundenheit kann man das Album okay finden. Es hat gute Momente, von denen viele noch Feinschliff verdient hätten. Wahrscheinlich weiß der Meister das selbst. Aus den Angeln reißt es die Welt nicht, die bereits erhobenen Vorwürfe der ‚Aneignung‘ gegen den Berliner wirken maßlos überzeichnet, streitlustig und aus dem Kontext gerissen. Er macht jetzt eben Popmusik, in der aus diversen einander benachbarten Genres Zitate auftauchen. Das ist nett, aber leider nicht innovativ.

Trackliste:
1. Ein Auge Blau (Riddim by Ghanaian Stallon) 2. Tuff Cookie 3. Kein Regen In Dubai 4. Disney 5. Celebration ft. Benji Asare 6. Vergessen Wie 7. Dawn Of The Dawn 8. Gegengift 9. Weiße Fahnen 10. Toscana Fanboys ft. Adriano Celentano 11. Zukunft Pink ft. Inéz

Love Songs – Album von Peter Fox | Spotify

„Love Songs“ von Peter Fox ist am 26. Mai 2023 bei Warner erschienen (CD, Vinyl, mp3). Zuletzt erschien von Seeed der Longplayer „Bam Bam“ (Oktober 2019).